Zwielicht

Im Predigttext wird uns einmal wieder eine „Gartenszene“ vor Augen geführt. Wie passend zum Gründonnerstag, könnte man denken, aber wir wissen ja: Dieser Begriff leitet sich von etwas anderem ab. Ein Garten am Abend, das ist normalerweise etwas sehr Idyllisches: Das Licht ist gedämpft, die Luft ist mild, es wird ruhig um uns und in uns. Wir spüren mehr als dass wir sehen, fühlen uns geborgen in der schönen, friedlichen Natur.

In der Kunst, der Malerei, wird in der Schilderung dieser Szene aber dem Gras, den Bäumen, Blüten und Blättern kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Sie bleiben dem Auge weitgehend verborgen, stattdessen fällt das Licht auf bestimmte Menschen:

Da sind die Jünger, wie unbeteiligt meist am Rand dargestellt, teilnahmslos, schlafend, im Grunde nur noch Kulisse. Dann, auf der anderen Seite, die Gruppe der Häscher, der Soldaten: Auch sie stehen am Rand, sind unsicher, abwartend. Sie scheinen zu ahnen, dass man sie zu einem schlechten Dienst gerufen hat, aber: Befehl ist Befehl! Schließlich gibt es noch einige besonders Eifrige, die bereits ungeduldig wirken, die andere mitziehen und drängen.

Und dann ist da ein Dritter: Jesus. Er steht in der Mitte des Geschehens, und er erscheint nicht so, wie man es vielleicht erwartet: Da ist kein strahlender Sieger oder todesmutiger Held, auch kein wortreicher Prediger oder demütiger „Schmerzensmann“ – noch nicht.

„Gott wird Mensch“ – das wird mir am deutlichsten dort in Gethsemane. Dort geht es mir besonders nahe, erlebe ich es besonders eindrücklich und unmittelbar: Im Verlassensein von guten Freunden, Nahestehenden. Im Bedrohtsein von anderen, die mir fremd und so schwer greifbar sind, mit denen sich nicht reden und verhandeln lässt. All das in der lähmenden Gewißheit, dass der Kelch diesmal nicht vorübergeht, dass es kein Entkommen gibt und das Schlimmste unerbittlich seinen Lauf nimmt.

Das Schlimmste? Das körperliche Leid Jesu steht noch bevor, aber das Herz wird ihm bereits an jenem Abend gebrochen, mit diesem falschen Kuss: Hier sucht nicht etwa jemand vertraute Nähe, hier spricht nicht die Liebe in zärtlicher Zuwendung, hier begegnet nicht der Bruder im Geiste:

Der Judaskuss ist die verräterische Geste der Überheblichkeit, des Besserwissens, des Rechthaberischen. Was vielleicht in bester Absicht geschah, um die Situation endlich eskalieren zu lassen, Entscheidungen und gewünschte Handlungen zu erzwingen, machte das Leben nun zur Hölle. Jesus wird in den Tod geschickt.

Die Bilder von Gethsemane zeigen viele dunkle Flächen, und einige von schwachem Licht erhellte Gesichter: Müde, zornig, bekümmert, entsetzt. Keine Idylle, kein Frieden. Man entdeckt hier oder dort vielleicht bekannte Gesichtszüge von sich und anderen, und möchte sich abwenden zu schöneren Bildern, die wirklich blühendes Leben und ein Paradies zeigen – und die gibt es ja gottlob auch:

Bilder vom Garten Eden zeichnen üppige Vegetation, exotische Pflanzen, herrlichste Blütenpracht: Sehnsuchtsorte voller Harmonie – so, wie wir sein und leben wollen, so wie uns Gott gewollt und geschaffen hat, als Wunderwerke seiner Liebe, ohne falsche Scheu und Scham.

„Adam, wo bist du?“ So fragte Gott an jedem Abend im Paradies, so fragen wir uns heute in klaren Momenten. Was machen wir eigentlich? Wir sind wir wirklich? Wem laufen wir hinterher? Gott sucht seine Kinder, und findet sie versteckt, verstört, verlogen. Es genügte nur eine Frage: „Warum hast du von der Frucht gegessen, die ich dir verbot?“

Das Weib gab sie mir, antwortete Adam, und schob die Schuld auf sein Gegenüber, das ihm doch so ähnlich war. Und na ja, das Weib zeigte auf die Schlange, die so überzeugend gesprochen hatte, und der Apfel glänzte so schön, und überhaupt… Wir alle kennen das, und sind so im Laufe unseres Lebens wahre Meister des Unwahren geworden.

Und da sind wir nun: Vertrieben aus dem Garten, wo Gott so gegenwärtig für uns war. Verräter an manch guter Sache, an manch guten Menschen, und sei es „nur“ aus Trägheit und Teilnahmslosigkeit, oder als Getriebene der großen Menge. Ob im Garten Eden oder im Garten Gethsemane: Wir, Sie und ich sind nicht die Lichtgestalten in diesen Szenarien!

Die Bibel führt uns später noch einmal in einen Garten, in der Erzählung vom Ostermorgen lesen wir bei Johannes davon: Frauen begegnen als Erste dem Auferstandenen – „und dachten, er sei der Gärtner“. Das klingt beinahe wie eine österliche Anekdote, ruft aber sehr bewusst die Bilder wach von jenem Ursprung bei Gott, vom Paradies, und von jenem Abend, der einen endgültigen Wendepunkt darstellt. Gegen Ende der Matthäuspassion wird es besungen:

„Am Abend, da es kühle war, ward Adams Fallen offenbar“. Dort, wie auch an jenem Abend in Gethsemane, wo die Sinne und Kräfte seiner Nachkommen, der Jünger Jesu an ihre Grenzen kommen. Jesus hätte auch fragen können: „Söhne und Töchter Adams, wo seid ihr? Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?“

Nun, einer war wach, hellwach sogar: Freundlich grüßend tritt er auf Jesus zu und küsst ihn – damit die Soldaten auch ja den Richtigen ergreifen und abführen. Gott wird Mensch – das wird sehr deutlich dort in Gethsemane. Und was wird aus uns? Wo sehen wir uns in diesem Bild, als Verräter oder Verratene, als Schlafende oder Enttäuschte, als Gefallene oder als Geschöpfe Gottes? Etwas von allem steckt wohl in uns allen, und Jesus, der uns vorausging, weiß das nur zu gut.

Doch Gottes Weg mit uns Menschen endet nicht an unseren Grenzen, sondern geht selbst über Schuld und Tod hinaus. Das erfahren wir zu Karfreitag und Ostern, das wird uns im Glauben immer wieder neu geschenkt und soll uns Mut machen, aus dem dunklen Bild herauszutreten in das Licht von Erlösung und Auferstehung. „Am Abend kam die Taube wieder, und trug ein Ölblatt in dem Munde“ – so hören wir weiter in der Matthäuspassion: Die Schuld ist genommen, der Frieden neu geschenkt.

Im Garten Gethsemane verstehen wir vielleicht am besten, was das bedeutet, was für eine Überwindung, was für ein Geschenk sich damit verbindet. Schmerzliche Vertrautheit stellt sich ein, am Abend vor Karfreitag. Vertrauen dürfen wir ihm darum auch entgegenbringen, ihm, der uns treu und nahe bleibt, der unsere Schliche und Wege kennt und dessen Liebe auch dort trägt und erhält, wo wir versagen.

In der Stunde der Wahrheit schauen wir auf Jesus, und Jesus schaut auf uns – auch in alles Dunkle und Verborgene, um es in Liebe endlich zu erhellen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft …