„Dabeisein ist alles“ – dieser vielzitierte Satz soll zum Ausdruck bringen, was der eigentliche Gedanke bei den Olympischen Spielen ist: Es geht um den sportlichen Wettstreit, ja, auch um den Leistungsgedanken – aber nicht in erster Linie um Gewinner und Verlierer.
Bei den olympischen Spielen dabei zu sein heißt: Sich mit den weltweit Besten der Besten zu messen und dabei sein Land zu repräsentieren. Das ist an sich schon eine große Ehre und ganz sicher auch ein prägendes Erlebnis, das Sportlerinnen und Sportler über Nationen, Hautfarbe, Weltanschauung hinweg verbindet. Wer hier dabei sein kann, hat im Grunde schon gewonnen – wenn dann noch eine Medaille hinzukommt, ist das sicher schön, aber nicht ausschlaggebend.
Auch wenn meine Begeisterung für den Sport eher begrenzt ist, gefällt mir dieser Gedanke gut. Und gut finde ich auch, was die Olympischen Spiele trotz mancher Kontroversen und Skandale ebenfalls unter Beweis stellen: Dass Menschen aus den verschiedensten Ländern und Kulturen sich immer noch auf gemeinsame Spielregeln einigen können und sich dann auch daran halten! In der Politik, in der Wirtschaft wie auch in Familie und Freundeskreis ist das ja keineswegs so selbstverständlich.
Nun finden die olympischen Spiele allerdings nur alle vier Jahre statt – für diesen Moment kann man sich auch mal zusammenreißen, so wie Politiker kurz vor den Wahlen es tun oder wir bei einer großen Familienfeier auf Harmonie achten: Ein Ausnahmezustand, der wenig besagt über das sonstige Verhalten im Alltag.
Unser christlicher Glaube setzt da schon höhere Maßstäbe, und nicht wenige achten peinlich genau darauf, ob jemand nur ein „Taufschein-Christ“ ist, halbherzig aus purer Gewohnheit oder Geselligkeit am Gemeindeleben teilnimmt oder leidenschaftlich „für die Sache brennt“!
„Sag mir, wo du stehst“ – manche unter Ihnen haben vielleicht noch dieses Agitationslied aus DDR-Zeiten im Ohr. Dort, wo es um eine „höhere Sache“ geht, da ist Dabeisein eben nicht alles: Man will Einsatz sehen für das, was der eigenen Gruppe wichtig ist, Einsatz aber auch gegen das, was sie stört, was fremd und bedrohlich erscheint, oder schlimmer noch: ansprechender und verführerischer ist.
Nun, die DDR-Zeit ist lange vorbei, die ideologischen Grabenkämpfe aber, heute gerne als „Kulturkampf“ beschönigt, werden wieder an vielen Fronten mit großer Erbitterung geführt: Wer nicht zu 100% die gleichen Ansichten vertritt, wird schnell zum Feind. Ausgerechnet heute, wo die Kirchen immer weniger Mitglieder verzeichnen, erleben wir ganz neue, teils fanatisch geführte Glaubenskriege zu Themen wie Umwelt, Migration, Gesundheits- und Sozialleistungen – und ich frage mich, woher plötzlich all dies Expertenwissen kommt.
Sozialforscher sprechen seit langem schon von einer fortschreitenden Individualisierung: Parteien, Vereine, sie alle leiden genau wie die kirchlichen Gemeinschaften unter großem Mitgliederschwund. Wenn man nicht alle oft unversöhnlichen Einzelinteressen bedienen kann, ziehen sich viele Menschen einfach zurück: „Das ist nicht meins“, heißt es dann.
Oft wird der Ruf laut, man müsse deswegen „das Profil stärken“, also klarer und eindeutiger bestimmte Positionen vertreten und anderen umso entschiedener entgegentreten. So eine Gruppe stärkt dann das Ego, bietet geistige Heimat und klärt wohltuend die Verhältnisse! Zulauf erfahren dadurch v.a. Splitterparteien, Sekten und radikale Gruppen.
Paulus kannte diese Gefahr nur allzu gut: In vielen seiner Briefe lesen wir von persönlichen Angriffen, Belehrungen, Streitereien und Zerreißproben der noch jungen christlichen Gemeinden. Soziale Spannungen galt es auszuhalten, unterschiedliche Glaubenstraditionen konkurrierten und drohten die gerade erst gewonnene Einheit zu zerstören.
Wofür steht der Glaube? Wofür stehe ich als gläubiger Mensch? Worüber identifizieren wir Christen uns eigentlich, als West- oder Ostdeutsche, als Erfolgsmenschen oder Arbeitssuchende, als wertebewusste oder eher liberal denkende Menschen, oder, oder? Paulus sagt: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Die Aufhebung aller Unterschiede – das klingt romantisch, ein bisschen aber auch nach einer „Sonntagsrede“, die mit dem Alltag wenig zu tun hat: Wie haben nunmal alle unsere Eigenheiten und wären schlecht beraten, diese zu ignorieren: Ich bin ein Mann, bin erst nach der Wende in die neuen Bundesländer gekommen und habe einen gut bezahlten Job. Ich kann nicht alles nachvollziehen, was Sie vielleicht erlebt haben, wie ich mir umgekehrt ebenso verbitten würde, mir eine bestimmte Lebensweise vorschreiben zu lassen.
Wenn ich mir überlege, was uns Menschen einander ähnlich werden lässt, uns gleich macht – dann fallen mir tatsächlich nur Ausnahmesituationen ein: Ein großes, kaum fassbares Glück lässt mich hinwegsehen über alles Trennende. Bei tief empfundener Liebe verblassen alle kleinen Differenzen bis zur Unkenntlichkeit.
In großer Not ist es mir völlig gleich, wer mir die rettende Hand entgegenstreckt. Und in der Stunde meines Todes schließlich tritt für mich all das zurück, was mein Tun und Lassen in dieser Welt bedeutet hat. Paulus schreibt: Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.
Taufkleidchen wie Sterbehemden sind eher schlichte Gewänder: Nicht zu vergleichen mit dem, was wir sonst so auf dem Leib tragen – den Anzug, den Blaumann, den Arztkittel oder was auch immer. Darüber definieren wir uns in der Welt, geben uns zu erkennen mit dem, was wir tun, was unsere Haltung und unsere Standpunkte sind: Gott bewahre uns vor zu viel Uniformen und erhalte uns die bunte Vielfalt seiner Schöpfung!
Gott bewahre uns aber auch davor, unsere Fähigkeiten, unser geistiges und moralisches Kleingeld als großen Reichtum zu betrachten. Gott allein ist reich für alle, die ihn anrufen, wie es in der Epistel im Römerbrief heißt. Im Glauben und im Bekenntnis sollen wir nicht nach Besonderheiten schielen – denn es ist über alle derselbe Herr, das ist entscheidend.
Nein, liebe Gemeinde: Dabeisein ist für uns Christen ganz sicher nicht alles! Es genügt nicht, nur Zaungast zu sein bei dem, was in der Welt um uns herum geschieht. Unser Einsatz ist gefragt, im Miteinander und dort, wo wir hingestellt sind mit unseren Gaben. Und ebensowenig können wir auf diese allein bauen: Wir haben keine letzte Sicherheit in dem, was uns begeistert oder empört, was uns antreibt oder zurückschrecken lässt. Das ist leider vieles auch bloße Eitelkeit und Haschen nach Wind.
Doch wer sein Herz an Gott hängen und ihm vertrauen kann, wer im Gekreuzigten das Ende und den Anfang seiner Hoffnungen erkennt, der gehört Christus an, ist Kind und Erbe großer Verheißungen in einer von Gott gesegneten, tragenden Gemeinschaft. Wer hier dabei sein kann, hat im Grunde schon gewonnen, auch wenn das Ziel noch fern erscheint.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.