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Zeugen gesucht

Da hat mir mein lieber Kollege aus der Kirchenredaktion ja was Schönes eingebrockt: Ausgerechnet jetzt bekommt der Kerl die Grippe! Nun muss er zuhause bleiben – und ich, ich muss ihn vertreten und für unsere Zeitung mal eben schnell den Sonderartikel über das diesjährige Osterfest schreiben.

Dabei habe ich mit Kirche und christlicher Tradition doch gar nichts am Hut. Ich habe mich eigentlich schon gefreut auf ein paar freie Tage: Füße hoch, Eierlikör schlürfen und ein gutes Buch lesen. Naja, zu lesen habe ich auch bekommen (Bibel herauskramen) – aber das ist ganz schön schwere Kost, diese Bibel!

„Du musst weiter hinten schauen“, hat er mir noch am Telefon gesagt, „im Neuen Testament, da findest Du alles“. Ein toller Tipp, Danke auch! Haben Sie da mal reingeschaut? Das sind doch keine journalistisch verwertbaren Quellen, da berichtet ja jeder was anderes!

Hier, bei Matthäus geht’s los: Zwei Frauen gehen frühmorgens an das Grab von Jesus, plötzlich bebt die Erde, ein Engel fährt vom Himmel und wälzt den Stein von der Grabeshöhle. Und was ist drin? Nein, kein Osternest – nichts ist drin, gar nichts, alles leer! „Wenn ihr Jesus sucht“, sagt der Engel, „dann geht in die Stadt. Dort werdet ihr ihn sehen, denn er ist auferstanden vom Tod.“

Dann bei Markus liest sich das schon ein wenig anders: Da kommen wieder die Frauen ans Grab – wobei ich mich frage, wo eigentlich die Jünger abgeblieben sind? – aber egal: Sie kommen ans Grab, und der Stein ist schon weggewälzt, und im Grab wartet nur ein Engel auf sie, um ihnen von der Auferstehung zu berichten.

Bei Lukas sind es dann schon zwei Engel, die draußen vor dem Grab auf dem Stein sitzen. Und ganz anders bei Johannes! Da gehen wieder Frauen zum Grab, sehen den Stein weggewälzt und – gehen wieder zurück und holen die Jünger. Die finden dann zwar noch das Leichentuch im Grab, aber auch sonst – nichts!

Da fühle ich mich an meine Zeit in Berlin erinnert: Wenn da was passiert war und ich kam als Journalist dazu, sagten die Leute zu mir „Ick bin Zeuge – wat war los?“ Aber ob nun ein oder zwei Engel vor oder im Grab waren, der Stein schon weg war oder nicht – das Grab war leer, darin sind sich alle einig. Ich habe übrigens auch mal im Internet recherchiert: Nicht nur die Bibel berichtet davon, auch andere Zeitzeugen, sogar Kritiker des Christentums befassten sich damals mit dem Auftreten Jesu, seiner Hinrichtung am Kreuz und dem, was danach geschah.

Denn eigentlich war genau das geschehen, was mit dem Todesurteil über Jesus ja unbedingt vermieden werden sollte: Dass ihm Menschen folgen, seine Lehre zu Herzen nehmen, sich Hoffnungen machen auf Gott in einer Weise, die man so nicht kannte, die verdächtig war.

Denn es geht ja gar nicht nur darum, dass Jesus vom Tod auferstanden ist. Mein Kollege erklärte mir, dass alle Christen das auch für sich und ihre Lieben erwarten: Dass auch sie nach dem Tod von Gott in ein neues Leben hineingenommen werden – wie auch immer das aussehen mag, da gibt es unterschiedliche Vorstellungen: Aber eine gemeinsame Hoffnung.

Ich finde das unglaublich! Mein kleines Leben als Zeitungsjournalist, das interessiert doch kaum jemanden, keinen großen Geist und schon gar keinen großen Gott. Und mit der Bibel, also das kann ich nicht einfach so in meinen Artikel übernehmen. Als guter Journalist halte ich mich lieber an authentische Quellen, an Menschen und an das, was sie fühlen, denken, erlebt haben und wie sie damit umgehen.

Na, und dann habe ich mir gedacht: Geh doch mal in so einen Ostergottesdienst und frag die Leute dort – das müssen ja alles Profis sein, und sind hier ja auch gar nicht so wenige! Wer möchte mir denn jetzt mal ein paar Fragen beantworten – Sie dort? Nein? Oder Sie: Nur ein ganz kurzes Statement, ein zwei Sätze bitte! Kommen Sie schon, ist doch ganz einfach:
Wie ist das mit ihrem Glauben an die Auferstehung?

Ach, alle so schüchtern! Sonst wollen die Leute überall mitreden, aber hier will man offenbar lieber zuhören und gemeinsam für sich sein. Komische Leute, diese Christen. Aber zum Glück handelt die Bibel ja auch von Menschen, dann nehme ich mir da mal ein paar raus:

Das war Thomas, der Jünger – ein ganz Sympathischer! Wo alle aufgeregt herumrannten, als sie von der Auferstehung hörten, da blieb er zurückhaltend. Erst als Jesus selber dazukam und er seinen Finger in dessen Wunde legen konnte, da glaubte auch er daran.

Oder die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, das sind mir richtige Träumer vor dem Herrn: Sie gehen da auf ihrem Weg, debattieren mit einem Mann, der dazukam, laden ihn sogar noch zum Abendessen ein – und merken erst ganz zum Schluss, dass eben dieser Mann kein geringerer war als der auferstandene Jesus.

Petrus und Paulus, oh ja – das sind ganz schillernde Figuren – der eine impulsiv und schwach, der andere fast ein Philosoph, dass ich alle Sätze dreimal lesen musste, um sie zu verstehen. Das kann ich meinen Lesern nicht zumuten!

Von den Frauen hätte ich gerne mehr erfahren. Im Grunde waren sie es ja, die als erste dabei waren, und die am ehesten verstanden, worum es ging. Sie zankten sich nicht wie die Jünger, sie waren auch nicht davongelaufen, als es brenzlig wurde. Sie liebten Jesus, hatten ihn und seine Worte richtig ins Herz geschlossen, und das merkt man dann auch: Die Frauen
hielten es bei ihm aus, als er gekreuzigt wurde. Sie wagten sich auch als Erste an sein Grab.

Bei uns ist das ähnlich. Ich bin nicht oft auf dem Friedhof, am Grab meiner Eltern. Die vielen Termine, ja, das ist natürlich ein Grund. Aber da ist auch so eine Scheu, so ein Unbehagen: Ein Stück Erde, ein paar Blumen – und ein Meer an Erinnerungen an die Kindheit, Urlaube, Gespräche, geteilte Sorgen, Zank und gemeinsames Glück – und dann wieder nur dieses Stück Erde, bei dem mir die Worte fehlen. Mir, als Journalisten! Ist doch kaum zu glauben.

Meine Frau ist da ganz pragmatisch, sie geht regelmäßig dorthin, hält alles in Schuss. Sie will sich nicht festlegen, ob es eine Auferstehung gibt oder nicht, ob es Gott gibt oder nicht. Sie schwankt, sie ringt mit sich, und einige Male ist sie auch schon in die Kirche gegangen.

Ich weiß nicht: Manche Dinge, denke ich, muss man einfach hinnehmen, auch wenn‘s schwerfällt oder traurig stimmt. Aber in der Kirche, die sind ja auch nicht blind. Die haben das Kreuz ihres Herrn Jesus, die haben seinen Tod immer vor Augen, es steht ganz vorne! Und trotzdem feiern sie Ostern, alles Jahre wieder, genau wie Weihnachten.

Als DDR-Kind dachte ich, das hätte sich längst überholt, diese Kirche mit ihren alten Feiern und Gebräuchen. Aber sie schaffen es doch immer wieder! Mein Kollege aus der Kirchenredaktion, der ist eigentlich auch ein ganz normaler, umgänglicher Typ. Und wenn ich mich hier so umschaue: Bisschen schüchtern zwar alle, aber sonst Menschen wie du und ich!

Doch wie kriege ich jetzt meinen Artikel für die Zeitung fertig? Ich glaube, am besten machen sich die Leser selbst ein Bild von Ostern: Sie sollen auch mal hierher kommen oder in andere Kirchen, mal in die Bibel schauen, mit den Menschen reden und einfach mal zuhören. Da gibt es mehr zu entdecken als Eier und Osterhasen! Damit hat mich mein Kollege übrigens rumgekriegt:

Hat mir doch glatt eine gute Flasche Eierlikör versprochen, wenn ich ihm die Bibelstelle nenne, wo der Osterhase auftaucht! Deswegen habe ich das alles ja gelesen, und was soll ich ihnen sagen? Nichts, kein einziger Hase springt in der Bibel herum – hier, den können sie gerne haben (Schokohasen an Besucher geben)!

Aber gefunden habe ich schließlich doch so einiges. Und einiges davon ist mir ganz schön nahe gegangen. Das Grab war leer, die Zeugen machen’s einem nicht leicht – doch Ostern feiere ich nicht jetzt mehr mit ganz so leeren Händen. Wem auch immer: Ich sage Danke!