„Dein Wille geschehe“ – so beten wir im Vaterunser: Wir treten damit einen Schritt zurück, geben Gott die Ehre in der Gewissheit, dass er weiter sieht, tiefer sieht als wir.
Wir geben ihm unser Vertrauen und werden bescheiden: Unser Bitten beschränkt sich nurmehr auf das Notwendigste, auf das täglich Brot. Alles andere – die Überwindung von Schuld, Befreiung von Versuchung, Erlösung vom Bösen – überlassen wir ihm, und damit seiner Macht, seiner Güte, seiner Größe.
Um das Lebensmittel Brot geht es auch in der Jahreslosung für das neue Jahr, wenn wir den Vers in seinem Zusammenhang betrachten: In den Zeilen zuvor wird Jesu Glaubwürdigkeit und Autorität hinterfragt. Man möchte wissen, welche Zeichen er tut – Zeichen und Wunder, wie sie z.B. das Volk Israel bei der Wüstenwanderung erlebte, als Manna vom Himmel fiel.
Das klingt nach einer beschämend plumpen Frage – ähnlich der eines unerzogenen Kindes, dass beim Besuch der Verwandtschaft erstmal nach Geschenken fragt, bevor es weitere Nähe zulässt! Jesus jedoch hält die Frage aus und lenkt sie auf den entscheidenden Punkt:
Wie das Manna eine Zuwendung Gottes an Israel war, so ist er, Jesus, von Gott in die Welt gesandt. Wie das Manna ist auch er, Jesus, sichtbares Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen. Wie das Manna ist auch er, Jesus, Grundlage unseres Lebens – wenn auch hier im übertragenen Sinn.
35Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. 36Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht. 37Alles, was mir der Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.
38Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. 39Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich’s auferwecke am Jüngsten Tage.
Jesus hält die Fragen aus, lenkt sie auf den entscheidenden Punkt – und doch ist sein Seufzen dabei unüberhörbar: Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht! Ich bin gekommen, dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat – anders formuliert: „Dein Wille geschehe“, wie es im Vaterunser heißt. Da wird ein innerer Widerstand überwunden, da wird ein Machtverhältnis hergestellt, das uns nicht immer schmeckt, und Jesus offenbar auch nicht!
Die Jahreslosung verführt leicht dazu, aus diesem Kontext gerissen zu werden. Es ist nicht unbedingt eine fröhliche Willkommensfeier, zu der hier eingeladen wird, wie etwa beim „verlorenen Sohn“. Es ist vielmehr erneut eine Wüstenszene, im übertragenen Sinn:
Tausende Menschen waren Zeugen geworden von Jesu Worten und Wundern, die Jünger folgten ihm – und doch steht er allein. Er hatte Kranke geheilt, zahllose Hungrige gespeist, ein wahres Feuerwerk abgebrannt an unübersehbaren Zeichen – und muss sich doch wieder neu beweisen. Schon bald folgen neuer Streit im Volk, Untreue und Verrat, Vorwürfe, Folter und Tod. Da vergeht das Lachen, erlahmt jede Freundlichkeit, stirbt irgendwann auch der größte Optimismus.
38Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. 37Alles, was mir der Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. Offenheit als Leidensbereitschaft, anders lässt das sich kaum beschreiben. Der Advent, das Kommen des Gottessohnes, steht hier an der Schwelle zur Passion, zur Leidenserfahrung; das Wunder des Heiligen Abend verbindet sich mit dem Wunder von Golgatha. Einladend sind sie beide, auf ihre je eigene Weise!
Gott zu erkennen im Kind in der Krippe, in der Hilflosigkeit des beginnenden Lebens, das schafft eine große Nähe. Gott zu erkennen im Schmerzensmann am Kreuz, in der Liebe, die keine Grenzen akzeptiert, das lässt uns neue Wege erahnen und neue Schritte wagen. Nur auf diese radikale Weise lässt sich begreifen, wie Gott es mit uns meint; nur in diesem harten Kontrast wird uns deutlich, wo wir stehen und wo Gott uns haben will.
Oft ist auch uns die Welt laut und leer zugleich. Unscharf ist geworden, wo wir Gewissheit vermuteten; unsicher die Zukunft, wo viele Entwicklungen kaum mehr abzusehen sind. Wir verlieren uns nur allzu leicht darin, suchen nach Halt, fordern ebenso Zeichen und Wunder.
Wer zu mir kommt, den werde ich nicht verstoßen – Gott dürfen wir in die Arme fallen, so wie wir sind, trotz allem, wie wir manchmal so sind, wie oft wir uns von ihm und anderen abwenden, ihn und andere aus unserem Leben verstoßen. Das lehrt mich Zurückhaltung, lässt meine Bitte bescheiden werden. Das ist vor allem aber auch ein Zuspruch, mit dem ich getrost ins neue Jahr gehe, und der mich selbst in meinen dunklen Stunden leiten kann.
Als einen moralischen Appell an mich kann ich die Jahreslosung nicht verstehen, so gerne ich es wollte: Mein Herz ist nicht so groß. Ich zweifle an meinem Talent zur Feindesliebe, ich weiß um Menschen, vor denen ich mich und andere fernhalte, auch um uns zu schützen. Vielleicht bewahrt dieses Bewusstsein zumindest vor Hochmut, vielleicht stimmt es mich gnädig, wo ich Zurückweisung erfahre. Vielleicht bewahrt uns das ein wenig Menschlichkeit.
Von Gott angenommen und geliebt zu sein am Anfang wie am Ende, das ist weit mehr, als ich gemeinhin zu hoffen wage. Krippe und Kreuz, die Zeichen, die er uns in Jesus Christus so greifbar schenkt und damit die Tür zum Glauben öffnet, sie sind der Ausdruck dessen, was uns die Jahreslosung sagen will:
Wir sind eingeladen von Gott in seine Liebe, grenzenlos, zeitlos, bedingungslos. Und ich bin mir sicher: Mehr Zeichen und Wunder braucht es nicht für ein gutes, neues Jahr!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.