Was tun?

Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Diese Frage eröffnet das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Es ist eine gute Frage, auch wenn der Schriftgelehrte sie vielleicht in provozierender Absicht gestellt hat. Es ist die Frage, die auch wir uns manchmal stellen, die der Glaube uns stellt. Sind wir auf dem richtigen Weg? Machen wir alles so, dass hinterher auch alles klar geht?

Es ist viel Unfug getrieben worden mit der Vorstellung der „Werkgerechtigkeit“. Da kommt sehr viel unwürdiges Geschacher ins Spiel, ganz nach dem Motto: „Wie ich dir, so du mir“, nur mit etwas verschobenen Maßstäben. Der Größenunterschied zwischen Gott und dem Menschen, ja, der kann nun wirklich schwer geleugnet werden, denn was kann ich mit meinen schwachen Kräften schon ausrichten, verglichen mit seiner Allmacht! Aber da gibt es ja – Gott sei Dank! – die Gnade, die diesen Unterschied zu unseren Gunsten korrigiert. Und so kommen wir dann also doch noch mit Gott ins Geschäft.

In der Reformation wurde diese kleingeistige Vorstellung über Bord geworfen – völlig zu Recht, denn Gott lässt nicht mit sich handeln. Auf seinem Weg mit uns Menschen hat sich schließlich immer wieder gezeigt, dass wir doch nur die Preise verderben:

Was sind wir denn am Ende wirklich bereit zu zahlen, um Gott gefällig zu sein und unter seinem Schirm und Schutz stehen zu dürfen? Hat die Kirche nicht vielmehr Mühe, die Menschen selbst für kostenlose Angebote zu gewinnen? Manchmal scheint es sogar eher die Gnade der Gemeindemitglieder zu sein, wenn sie freundlicherweise mal zum Gottesdienst oder zu einer kirchlichen Veranstaltung kommen.

Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Martin Luther würde antworten: Wende den Blick von deinem hilflosen, haltlosen Inneren, blicke an das Kreuz und vertraue der unglaublich großen Gnade Gottes. Lass das verzweifelte Kräftemessen, du würdest doch nur verlieren – und das nicht erst gegenüber Gott, sondern schon viel früher:

Denn unsere Grenzen sind schmerzlich eng gesteckt. Wo wir uns beweisen, das sind sehr überschaubare Bereiche. Eine Ehekrise, eine Kündigung, Geldnot oder Krankheit reichen meist schon aus, um uns völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen und verzweifeln zu lassen.

Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Reformation hin oder her, die Frage bleibt dennoch, bohrend nagt sie in uns! Wir können uns nur vorstellen, was wir kennen – und die Erfahrung großer Gnade ist ja nun leider keine Alltagserfahrung. Wir möchten gerne glauben und vertrauen, aber wir möchten auch gerne etwas tun, das uns Selbstgewissheit gibt, etwas, worauf wir schauen und etwas, worauf wir vielleicht auch ein wenig stolz sein können. Der Blick ans Kreuz kann tröstend sein, gerade wenn wir selbst uns als Opfer fühlen oder Leid tragen. Aber es gibt ja – wiederum Gott sei Dank – auch andere, sonnigere Momente im Leben.

Was muss ich tun? Was kann ich tun, mit meiner Vitalität, meinem Tatendrang, meinem Frohsinn und meiner Schaffenskraft? Gehört das denn nicht auch zu meinem Glauben und zu meiner Stellung vor Gott? Die Reformation hat uns evangelische Christen mit diesen Fragen leider ein wenig sitzen gelassen:

Wenn unsere Kraft und unsere Leistungen so wenig gefragt sind in der Kirche, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als sie erschöpfend in Berufs- und Privatleben einzubringen. Ein „weltlich Ding“, das ziemlich abgekoppelt ist vom Glauben, von der Gemeinde, vom ewigen Leben.

Gerade heute wird eine immer größere Sehnsucht vieler Menschen spürbar, ihrem Leben, ihrem Tun eine größere Dimension zu verleihen. Da muss doch mehr sein! sagen sich viele. Das Leben, das ich hier friste, meine Gedanken, Gefühle und Hoffnungen – die flackern doch nicht nur kurz in einem kalten, leeren Raum, die haben doch Wurzeln, da sind doch Bezüge zu anderen Menschen erkennbar, da gibt es doch hoffentlich Perspektiven, die über den bekannten Horizont hinausreichen?

Um diese Sehnsucht zu stillen, erforschen einige Menschen ihr Innerstes, um bislang verborgene, eigene Kraftquellen zu entdecken und zu nutzen. Auch die Familienforschung liegt im Trend: Im weit verästelten Stammbaum wird der Einzelne plötzlich Teil eines großen Ganzen, das der Vergänglichkeit trotzt. Und wieder andere bringen sich ein in Hilfsprojekte oder Vereine, wo all die genannten Dinge wie Vitalität, Tatendrang, Frohsinn und Schaffenskraft überaus gefragte Qualitäten sind.

Warum will Gott diese Qualitäten nicht auch anerkennen? Wir sind doch nicht nur Menschen, die ständig scheitern, sondern auch Menschen, die etwas leisten und die die Welt auch positiv gestalten? Oder liege ich falsch: Vielleicht schätzt Gott diese Qualitäten ja durchaus, aber vielleicht hat er ihnen ein anderes Ziel zugewiesen:

Nicht Selbstsicherheit und Stolz, nicht Gottgefälligkeit und Liebdienerei sollen uns dabei vor Augen stehen. Vielmehr sollen wir unsere Kräfte und Begabungen nutzen, um andere Gott nahe zu bringen, und um selber besser erkennen zu lernen.

Wer einmal über Tage, Wochen oder gar Monate und Jahre einen schweren Pflegefall betreut hat – nein, ich meine, wer die Bedürfnisse eines nach einem aktiven Leben auf seine reine Geschöpflichkeit zurückgeworfenen Menschen erfasst hat, dem vergeht jeder Hochmut. Der lernt Dankbarkeit für seine eigene Gesundheit, der lernt, was Hoffnung alles bedeuten kann, der begreift, was uns am Kreuz vor Augen geführt wird.

Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Jesus antwortete und sprach: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.

Wie ist das zwischen zwei Menschen? Ich liebe meine Frau, und sie liebt mich – ohne warum, ohne Wenn und Aber: Ich muss ihr nichts beweisen, wir rechnen nicht nach Leistung und Gegenleistung – und ich denke, in den meisten Ehen ist das so.

Ich muss ihr nicht wirklich etwas entgegenbringen, nein, meine Liebe, die mir noch immer wie ein Geschenk ist, die mich nie wirklich etwas gekostet hat: Sie reicht vollkommen aus, sie überdauert kleinere Krisen, überwindet manchmal unvermeidbare Enttäuschungen und beflügelt gemeinsame Pläne. Ich muss nichts tun, alles gründet sich auf unsere Liebe und nicht auf unsere Kraft, und gerade dadurch gelingt auch vieles besser und einfacher.

Hätte ich die Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz und eine klingende Schelle – ich wäre ein Nichts, so beschreibt der Apostel Paulus das Geheimnis dieser aus Dankbarkeit, Zuneigung, Vertrauen, ja und auch aus Glauben gespeisten Kraft, die uns Menschen über uns hinauswachsen lässt. Diese Kraft will Gott in uns wecken, damit wir seine Schöpfung verwandeln und nicht verwüsten. Diese Kraft erwächst uns, wenn wir nicht wegsehen von der Not des Nächsten, wenn wir nicht blind werden über den technischen Möglichkeiten und unseren falschen Sicherheiten.

Liebe Gemeinde, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Diese Frage steht am Anfang des bekannten Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. Es ist eine gute Frage, auch wenn sie vielleicht in provozierender Absicht gestellt wird. Es ist die Frage, die auch wir uns manchmal stellen, die der Glaube uns stellt:

Sind wir auf dem richtigen Weg? Wenn er uns zu unserem Nächsten führt und nicht an ihm vorbei, wenn er nicht als steile Rampe in den Himmel zielt oder als Schneckengang in unser dunkles Herz, ja, dann ist es der richtige Weg, den Gott uns gewiesen hat. Dann ist es der richtige Weg und keine moralische Pflicht.

Dann, wenn Liebe und nicht Eifer, wenn Liebe und nicht Eitelkeit und Mutwillen uns die Schritte lenken, dann werden wir merken, wie Gott uns nahe ist und wie sich die Ewigkeit für unser Leben öffnet.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.