Die deutsche Sprache ist eigentlich ein wunderbarer Schatz: Sie ist reich an Ausdrucksmöglichkeiten, farbig in der Vielfalt ihrer Worte, und doch an manchen Stellen reichlich spröde. Das merken wir als Christen immer dann, wenn vom Geist oder Geistlichkeit die Rede ist. Der eine denkt da gleich an Hochprozentiges, ein anderer an Schlossgespenster, und wieder ein anderer vielleicht an esoterische Phantasiegebilde.
Selbst Luther, der als Bibelübersetzer der deutschen Sprache ja selbst so einige Perlen hinzufügte, tat sich schwer mit diesem im Hebräischen, Griechischen und Lateinischen so schillernden Begriff: „Geist“ kann da ganz unterschiedlich verstanden werden als Kraft, als Energie, aber auch als unsichtbare Gegenwart Gottes. Dann erscheint der Begriff wieder als Ausdruck von lebensspendendem Atem wie auch als Tröster und Beistand im Glauben. Für all dies gibt es im Deutschen keinen wirklich passenden Begriff, und darum gibt es auch viel Missverständnisse und Missbrauch:
Zu Zeiten Luthers waren da die „Schwärmer“, die jeden windigen Gedanken in ihrem Kopf als Botschaft vom Geist Gottes auffassten. Das war mitunter nicht nur reichlich schräg, sondern öffnete auch mancher Willkür und Grausamkeiten die Tür. Heute sind da selbst die größten Charismatiker – wieder so ein Begriff! – heute sind die meisten Christen gemäßigter, aber eben auch ein bisschen langweiliger. „Amtskirche“, das klingt nach Behörde, ist nicht gerade romantisch und erinnert nur noch schwach an die begeisterten Anfänge aus der Apostelgeschichte.
Paulus unterscheidet, er spricht vom „Geist der Welt“ – kritische Menschen mögen da gleich den vielzitierten „Zeitgeist“ mit einrechnen – und vom „Geist Gottes“. Der „Geist der Welt“, das ist die Lebensphilosophie, der Menschen folgen, wenn sie allein auf ihren Verstand, auf Erforschtes und in Formeln Gefasstes vertrauen. Und das ist zunächst gar nicht mal so schlecht:
Ich sitze lieber in einem Flugzeug, dessen Konstruktion und Motorleistung sorgsam durchdacht und erprobt wurde. Ich vertraue zwar Gott, aber nicht dem bloßen Bauchgefühl und froher Zuversicht von Ingenieuren! Auch Paulus war kein solcher Gefühlsmensch, sondern durchaus ein gewiefter Akademiker, der viel auf Bildung und Kopfarbeit hielt: Nicht ohne Grund sind seine Briefe teilweise recht kompliziert, seine Sätze verschachtelt und abstrakt.
Es geht hier also nicht um einen Widerspruch von Kopf und Herz, wenn Paulus von zweierlei „Geistern“ spricht, die zu verschiedenen Wahrnehmungen führen. Man muss dazu auch die Gemeinde in Korinth und die damalige Zeit vor Augen haben: „Lebensweisheiten“, Gottesvorstellungen blühten da an jeder Ecke und in vielfältigster Form. Die Kirche war noch jung, man musste aufpassen, mit der christlichen Botschaft im Strudel dieser verwirrenden Vielfalt nicht unterzugehen. Man musste, um wieder ein Sprichwort zu bemühen „die Geister zu unterscheiden“ lernen.
Doch verlassen wir mal die Sprachtheorie und den Rückblick auf die Gemeindesituation in Korinth. Wie sieht es denn bei uns aus? Was fangen wir heute als Christen mit dem heiligen Geist an?
Als meine Frau noch in Nordsachsen Pfarrerin war, hatte ich immer das Gemeindeblatt zu gestalten und war alle drei
Monate auf der Suche nach zur Jahreszeit geeigneten Bildern. Zu Weihnachten, Ostern und Erntedank war das nie ein Problem, aber Pfingsten dagegen! Das Internet bot mir immer das gleiche an: Tauben, Flammen, Regenbogen und – man war ja im Wonnemonat Mai – Pfingstrosen. Hier und da stampfte auch noch ein Pfingstochse durch die Bildersuche, aber das gehört zu einem anderen Kulturkreis.
Abstrakte, zu erläuternde und daher zunächst fremdartig wirkende Symbole: Das war mir zu wenig. Ein Kind in der Krippe, ein Schmerzensmann am Kreuz, ein leeres Grab – das berührt mich im Innern, und wahrscheinlich auch andere Menschen. Doch was machen wir mit Pfingsten, wie sprechen wir glaubwürdig vom Heiligen Geist?
Noch einmal, ein letztes Mal eine Abgrenzung: „Insiderwissen“, das haben wir in der Kirche schon zu Genüge – und nichts kann widersprüchlicher sein zu Jesu Missionsbefehl und der Ausgießung des Heiligen Geistes als eine geschlossene Gesellschaft von Menschen, die sich für besonders schlau halten. Die „geistliche Rede“, die aus unserem Glauben hervorgeht und die unsere Kirche zu etwas Besonderem macht, sie ist eine mahnende und v.a. einladende Rede!
Gott, unser Schöpfer und Vater. Jesus, unser Herr und Bruder. Um ihnen nahe zu sein, um sie zu erkennen und mit dieser Erkenntnis unser Leben neu werden zu lassen, brauchen wir eine Orientierung, eine Brücke, einen Raum. Wie war das denn, als sie ihren Lebenspartner kennenlernten? Wie war das mit ihren Kindern, oder ihren besten Freunden? Gute Beziehungen wachsen vor allem dort, wo Freiräume bestehen. Wo nichts aufgedrängt wird, wo Respekt herrscht, wo Würde und Eigenständigkeit nicht angegriffen werden.
Kirchengebäude bieten das manchmal auf beeindruckende Weise: Sie schaffen Raum für die zentralen Elemente wie Kreuz, Taufstein, Altar und Bibel. Unübersehbar präsent sind sie, aber auch großzügig in der gewährten Distanz zum Betrachter. Sie dulden es auch, wenn mein Blick sich im hohen Gewölbe verliert, oder ich mich in meine Gedanken vertiefe, vielleicht sogar völlig unkonzentriert bin. Sie können warten, das macht ihre besondere Größe aus.
Nicht gleich alles und zu 100% unbedingt haben, sagen, wissen zu wollen – das schafft eine lebensfreundliche Atmosphäre. Geheimnissen ihre Eigenart und ihren Zauber zuzugestehen, das zeugt von Liebe, die nicht mehr wissen will als sie braucht: Das gilt für die Geheimnisse in meinem Herzen wie auch für die Geheimnisse Gottes, die auch ein geistlicher Mensch zu Lebzeiten nicht zu ergründen vermag.
Sich auf etwas einzulassen, ohne schon alles zu wissen und zu verstehen, das ist eine christliche Tugend, die verwandt ist mit Weitherzigkeit, freudiger Neugier und der Kunst des kindlichen Staunens, die wir so oft wieder neu erlernen müssen und die weit entfernt ist von der Naivität und Stumpfheit von uns sog. „Erwachsenen“. Wie schrieb Matthias Claudius: „So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn“!
Das ist die Torheit der Welt, von der Paulus so ausführlich spricht, vor der er so eindrücklich warnt: Augen, die nicht weiter sehen als bis zum Tellerrand ihres eigenen, engherzigen Ego, solche Augen sehen auch nicht die Brücke zu größeren Wahrheiten.
Vor dieser Torheit warnen selbst moderne Philosophen wie Peter Sloterdijk: Die Quelle von Inspiration, das Klima, in dem Ideen reifen und Geistesblitze überhaupt erst möglich werden, das ist für ihn immer Folge von etwas Fremden, nicht Einordenbarem, mit dem wir in Berührung kommen – wie eine bislang unbekannte Speise, ein exotisches Gewürz, eine anregend ungewohnte Gesellschaft.
Ein offenes Auge, ein offenes Ohr, ein weites Herz – mehr braucht es nicht, damit uns der Geist Gottes, mit dem wir getauft sind, Neues offenbart, Neues ermöglicht und Horizonte öffnet. Sie meinen, dass er sich damit aber reichlich Zeit lässt? Mag sein. Mag sein, dass er auch nur auf uns wartet. Mag sein, dass er Zeit und Ort findet, wenn wir ihn und mit ihm so viele Wunder Gottes regelmäßig in traditioneller Weise feiern. Ihm genügt der kurze Augenblick, uns den Moment zu schenken, da wir mehr sehen, mehr verstehen und vertrauen können.
Begeisterung lässt sich nunmal schwer verordnen oder in ein Tagesprogramm einbauen. Die Geister zu unterscheiden wird auch künftig eine Herausforderung bleiben. Mein Vater, der viele Jahre auch als Kantor tätig war, foppte mich gerne mit dem Spruch: „Dass es die Kirche trotz allem noch gibt, das ist eigentlich der beste Gottesbeweis“.
Ja: Trotz allem! Trotz der Tatsache, dass wir als Kinder Gottes nach wie vor nur in einen dunklen Spiegel schauen, trotz
unserem Überschwang und unserer Resignation, trotz unserer Irrwege in der Geschichte und im persönlichen Leben. „Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.“ Also doch: Geschenke zu Pfingsten – und nicht die geringsten, Gott sei Dank!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.