Stilfragen

„Kleider machen Leute“ – eine alte Redewendung, die auch heute noch zutrifft. Wenn ich vor Ihnen hier im Prädikantentalar stehe, sehen Sie gleich: Da ist jemand anders, das ist nicht der Herr oder die Frau Pfarrer! Aber immerhin: Er trägt ein liturgisches Gewand, darf also wohl den Gottesdienst leiten.

Wenn ich morgen ins Büro gehe oder zu Terminen fahre, dann trage ich stattdessen natürlich wieder Anzug und Krawatte. Meine Mitmenschen dort wären über einen Talar mehr als irritiert, sie erwarten von mir ein Erscheinungsbild, mit dem ich mich meinen Kollegen und Kunden anpasse. Der Anzug mit Krawatte macht sichtbar: Der gehört hierher, mit dem kann man reden.

Und genauso muss der Arzt einen Arztkittel tragen, der Anwalt eine Robe und der Mechaniker einen Blaumann. Für einige Arbeiten mag so eine Uniform auch durchaus praktisch sein, in vielen Fällen ist sie aber vor allem eins: Ein Erkennungszeichen, das nach außen das Vertrauen gibt, es mit der richtigen Person zu tun zu haben. Und auch nach innen gibt es Sicherheit: Wer eine bestimmte Berufskleidung trägt, der muss nicht erst erklären, wer er ist und was er tut. Schon aufgrund des Äußeren nimmt man ihm oder ihr ab, dass alles rechtens ist.

Auch Alltagskleider „machen Leute“, gerade in jungen Jahren eine scheinbar ganz wichtige Sache: Das schüchterne Mädchen, das sich als graue Maus möglichst unauffällig kleidet. Der pubertierende Jüngling, der mit löchriger Jeans seine rebellische Haltung ausdrücken will. Unzählige Modezeitungen geben ihren Lesern Tipps, mit welchem Outfit für teuer Geld man welchen gewünschten Eindruck erzielt.

Aber zum Glück wird nicht alles nur nach dem äußeren Schein beurteilt: Denn es ist auch unser Verhalten, das uns kennzeichnet. Es ist auch unsere innere Einstellung, unser Stolz, unsere Zurückhaltung, es sind unsere Eitelkeiten und Bedenken, die uns stark oder schwach wirken lassen. Unsere Erlebnisse, unsere Erfolge und unsere Missgeschicke prägen uns, und auch unsere innere Verfassung wird nach außen sichtbar. Bekanntlich kann der schickste Anzug oder das aufregendste Kleid Spuren von Trauer oder Wut nicht vollständig verbergen. Und manchmal ist es gerade der Kontrast von außen und innen, der auffällt und tiefer blicken lässt.

Genau darum macht sich auch Paulus Sorgen, wenn er an die Gemeinde in Ephesus schreibt: Reiche und Arme, Schwache und Starke, Juden und Griechen machen dort das Gemeindeleben vielfältig, aber wohl auch ziemlich anstrengend. Wie kann man zu einer Einheit finden? Welcher Lebensstil ist für die Christen angemessen? Wodurch sollten sie sich auszeichnen, woran lässt sich ihr Christsein ablesen? Zweifellos nicht an dem Streit, der offenkundig in der Gemeinde tobt: Von Bitterkeit, Grimm, Zorn und Geschrei ist vorher im Brief zu lesen. Paulus möchte ihnen darum Leitlinien an die Hand geben.

Christliche Leitlinien, christliche Regeln – damit tun wir uns aus gutem Grund etwas schwer, und das nicht wie oft behauptet erst in der heutigen Zeit. Genauso wenig wie ehrliche Liebe den anderen einengt, genauso wenig kann die befreiende Botschaft von Gottes Erbarmen in Christus dazu führen, dass nur wieder neue Gesetzestafeln mit neuen Geboten geschrieben werden.

Das Gesetz ist uns gegeben unseres Herzens Härte wegen – doch der Glaube an das neue Leben in Christus gibt uns unendlich weiten Raum, den wir in unserer Kurzsichtigkeit nicht künstlich begrenzen sollten. Denn das wäre in der Tat nichts anderes als Blasphemie, eine Beleidigung der Größe Gottes. Sollte Paulus etwa so ein Moralapostel gewesen sein?

Nun, kann man es so deuten: Wenige Zeilen vor unserem Predigttext steht die sog. „christliche Haustafel“, und darin u.a.: „Der Mann ist das Haupt der Frau… so sollen sich auch die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen.“ Dieser Sätze wegen wird meiner Frau und so mancher Pfarrerin noch heute von einigen Mitchristen mit Ablehnung begegnet: Weil sie nicht bis zu Ende lesen und nicht den Zusammenhang sehen. Immerhin, als christlich verstandene Kleidervorschriften müssen wir heute nicht mehr befürchten und können daher wohl auch richtig einordnen, was Paulus schließlich mit der „geistlichen Waffenrüstung“ in unserem Predigttext zum Ausdruck bringen will:

Es geht ihm nicht um detaillierte Regeln der Lebensführung, um neue Gesetze, Hierarchien oder vermeintliche Prinzipien. Er weiß zu gut und hat es selbst erfahren, dass all dies nur bedingt Hilfe und Orientierung bieten kann, viel zu oft hingegen ablenkt und unnötige Hindernisse aufbaut.

Paulus ist sehr vielen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen begegnet. Er hat sich an ihrer Vielfalt gefreut, er hat gesehen, zu welcher wunderbaren Einheit all diese Menschen im Glauben finden konnten und wie sie darin auflebten – und er stellte fest, dass sie alle zugleich auf sehr ähnliche Weise schwach waren, unsicher, anfechtbar und schutzbedürftig. Da empfiehlt es sich, so gerüstet zu sein, wie Paulus es beschreibt:

„Umgürtet an Euren Lenden mit Wahrheit“ – zum Schutz, buchstäblich unter der Gürtellinie: Nun ist diese Wahrheit (vor allem da, wo es um uns selbst geht) nicht immer angenehm und kleidsam. Sich offen und ehrlich zu geben macht es mir mitunter schwer, Erfolg zu haben oder Kritik von mir abzulenken. Wenn ich mich „gut verkaufen“ will, z.B. bei einer Bewerbung, dann achte ich darauf, ein möglichst gutes Bild abzugeben. Doch wenn die Fassade fällt, wird es peinlich! Umgürtet mit Wahrheit droht mir so etwas nicht, da bin ich letztlich auf der sicheren Seite.

„Angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit“ – da kann so manches von mir abprallen, was mich sonst verletzen würde. So ein Panzer, so ein Brustharnisch hat allerdings auch sein Gewicht und ist nicht leicht zu tragen. Ich tue mich schwer mit ihm wie mit der vielgeforderten Gerechtigkeit: Wie verlockend ist es, schnell ein Urteil über einen Menschen oder einen Sachverhalt zu fällen, wie mühselig hingegen, allem auf den Grund zu gehen, zumal mich ein Fehlurteil doch meist nichts kostet – nur am Ende Schuld und Scham, die mich im Herzen treffen.

„Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens“ – denn er schützt mich auch dann, wenn der Panzer meiner Gerechtigkeit zu dünn und brüchig ist. Im Glauben vertraue ich mich der Liebe, dem Erbarmen und der Gerechtigkeit Gottes an. Im Glauben finde ich Halt und Trost, auch wenn um mich herum alles in Trümmer geht. Im Glauben ist Gott bei mir und hält fern, wodurch ich versucht werden könnte, was mir mein Leben rauben könnte.

„Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes“ – der Kopf ist natürlich ein ganz besonders sensibler Bereich und muss darum auch besonders geschützt werden. Mit welcher Sorgfalt achten wir heute darauf, was wir essen und trinken – aber was wir unseren Augen und Ohren zumuten, zeugt nicht immer von großer Achtsamkeit: Dauergeplänkel in Fernsehen und Radio, dazwischen ständige wechselnde Neuigkeiten und oft schockierende Bilder.

Ein heilloses Durcheinander, das uns abstumpfen lässt, das uns ratlos macht und vergessen lässt, wozu wir fähig und wozu wir berufen sind. Eine geistige Heimat zu behalten, innerlich zur Ruhe zu kommen und Raum zu geben für das Wort Gottes im täglichen Gebet, im Gottesdienst – das kann uns davor schützen.

Sieht so also ein Christ aus: Gepanzert, behelmt, mit Schwert und Schutzschild unterwegs? Die christliche Waffenrüstung ist fraglos weder Sonntagstracht noch Alltagskleidung. Was Paulus uns empfiehlt, ist vor allem bestimmt für die sogenannten „bösen Tage“: Für Zeiten, in denen der Boden wankt, wo uns angst wird, wo wir angegriffen werden und wo wir gefordert sind. Das können ganz persönliche Krisen sein, aber auch gesellschaftlich bedenkliche Entwicklungen, mit denen wir konfrontiert werden.

Dieses Böse zu überwinden, in welcher Form es sich auch zeigt, ist eine Herausforderung. Das Böse zu besiegen, ohne wiederum Gewalt zu üben, die Wahrheit zu missachten oder ungerecht zu werden – das ist die Kunst der Heiligen. Das ist die Kunst, seine Sache vor Gott zu bringen, sich von ihm Schutz zu erbitten und auf seine Gerechtigkeit zu vertrauen.

Das erfordert Übung, auch Disziplin und Ausdauer. Doch um das Allerwichtigste brauchen wir uns dabei nicht zu sorgen: Um Gott, der uns sein Wort gegeben hat. Der uns in Jesu Christus als Herr und Bruder begegnet und dessen Geist uns im Glauben schützen und leiten wird in guten wie in bösen Tagen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.