„Alles Gute! Bleibt behütet! Wir denken an Euch!“ Wenn wir lieben Mitmenschen schreiben, schließen wir oft solche guten Wünsche mit ein. Gerade jetzt, in der Urlaubszeit, kursieren wieder Karten aus fernen Ländern: Über hunderte, tausende von Kilometern erreichen sie uns. So bleiben Menschen in Verbindung, auch über größte räumliche Entfernung hinweg.
Unser Sohn, der zur Zeit noch sein freiwilliges soziales Jahr in Finnland verbringt, schreibt fast nie Karten. Er nutzt wie viele seiner Generation lieber das Handy zur Kommunikation: Damit schreibt er uns zwar auch regelmäßig, aber die sprachliche Schönheit kommt in diesen neuen Medien doch etwas zu kurz: HDL für „hab dich lieb“ und ähnliche Kürzel lassen guten Willen erahnen – wie ernst das aber gemeint ist, oder ob es nur flüchtig hingetippte Formeln sind, das kann man nur vermuten.
Welch wunderbare sprachliche Schönheit begegnet uns dagegen im Eingangspsalm: Da lesen wir von „Flügeln der Morgenröte“, lesen von Gott, der auch an den Enden der Welt bei uns sein wird. Welch wortgewaltige Zusagen macht unser Predigttext: Wenn du durchs Wasser gehst, sollst du nicht untergehen und wenn du durchs Feuer gehst, sollst Du nicht versengt werden. Weil du in meinen Augen wertvoll bist, herrlich erscheinst und weil ich dich lieb habe, darum sage ich dir ein für allemal: Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir!
Wenn kleine Kinder unsicher und ängstlich sind, hören sie von ihren Eltern ähnliche Trostworte: Hab keine Angst, ich passe auf. Ich lass nicht los, ich fange dich auf. Nicht allein zu sein mit einer Herausforderung, ob groß oder klein, das nimmt einer Situation das Bedrohliche; das hilft uns, auch mal neue Schritte zu wagen. Wenn ich nicht sicher bin, ob meine Kraft, mein Mut, mein Wissen ausreichen, dann hilft mir die Zusage, dass da noch jemand ist, jemand, der – wenn es sein muss – eingreifen und helfen kann.
Bei Kindern sind das meist die Eltern und Geschwister, bei Erwachsenen die Freunde und Ehepartner, und bei Alten und Kranken der Arzt und der Pfarrer: Es ist ein trauriges Zeugnis unserer Gesellschaft, wenn bei sog. „Grenzsituationen“ alles auf sog. „Profis“ abgeschoben wird. Natürlich kann der Arzt die richtigen medizinischen Maßnahmen beschließen, natürlich kann ein Pfarrer heilsamen Beistand und Seelsorge leisten. Aber wo sind die anderen mit ihrem guten Wort? Haben sie alle auf einmal die Sprache verloren?
„Du schaffst das schon! Gib nicht auf! Da kann man doch bestimmt was machen!“ Das sind tatsächlich hohle, trockene Formeln, mit denen Betroffene dann oft abgespeist werden und das dann auch sehr deutlich und sehr schmerzhaft so empfinden. Alte chinesische Sprüche, Lebensweisheiten und was nicht alles den Büchermarkt überschwemmt – das meiste davon ist billige Makulatur und taugt nicht für den Ernst des Lebens.
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“. Das klingt schon anders, ist keine schale Lebensklugheit, das ist eine Zusage, wie nur Gott sie machen kann. Der Prophet Jesaja formte sie zu Worten, als die lange Zeit des Volkes Israel im Exil zu Ende ging, als die lang ersehnte Heimkehr anstand, sich aber verband mit der Angst vor dem Neuen: Was werden wir vorfinden? Wie wird es sein? Kommen wir klar?
Sich unter diese Zusage zu stellen, das heißt: Nicht mehr sich und seinen Talenten, nicht mehr der Fertigkeit anderer Menschen alles zuzutrauen und zuzumuten, sondern sich Gott zuzuwenden, seine allumfassende Herrschaft anzuerkennen, seine Treue zu uns zu erwidern.
Christen wählen diese Worte daher gerne auch als Tauf- oder Konfirmationsspruch: Ihnen ist klar, dass sie bei aller Liebe das kleine Kind ebenso wenig wie den Heranwachsenden in jeder Lebenslange beschützen und begleiten können. Sie wissen, dass all das Gute, dass sie dem Täufling oder dem Konfirmanden wünschen, am sichersten von Gott kommt. Und dieses Wissen haben auch Trauernde, wenn sie einen geliebten Verstorbenen unter diese Zusage Gottes stellen: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“
An der Tür unseres Lebens, am Eingang wie am Ausgang: Ein Wort von Gott. Aber was ist ein Wort? Und was gilt unser Name, mit dem Gott uns ruft? Worte, Namen – manche sagen, das sei nur Schall und Rauch. Und wenn kein Geist darin steckt, keine Liebe dahinter, kein fühlendes Herz und keine treue Seele, dann ist das wohl auch so, bei uns Menschen. Dass es bei Gott weit mehr ist, das sehen wir spätestens dann, wenn wir uns unter das Kreuz stellen.
Damit die Worte für uns greifbare Wirklichkeit werden, müssen wir sie auch ernst nehmen, uns zu Gehör bringen und ihre Bedeutung erfassen lernen. Fürchte dich nicht: Neben diesem schönen Satz steht nichts weniger als echte, nackte Angst im Raum, die gefangen nimmt und lähmt. Mit dem bloßen Apell ist darum auch noch nichts gewonnen, genauso gut könnte man sonst sagen „wer bremst, verliert“.
Fürchte dich nicht – das geht nur, wenn der Nebensatz mitgehört wird: Ich habe dich erlöst. Auch wenn die Angst begründet ist, auch wenn jetzt schwere Zeiten auf dich zukommen und du womöglich den Halt verlierst: Ich bin da. Ich fange dich auf. Ich habe ein Auge auf dich und werde da sein, wo immer du auch bist.
Hier sollen die Augen nicht vor der Realität verschlossen werden: Nicht vor den Schmerzen, die Menschen erleiden, nicht vor der Schuld, nicht vor den Zweifeln. In Gottes Zusage an das Volk Israel und an uns sollen die Augen aber auch geöffnet werden für Gottes weit größere Wirklichkeit. Die Worte helfen uns, eine Vorstellung davon zu bekommen, ermöglichen es uns, Glauben und Hoffnung buchstabieren zu lernen – bis uns eines Tages ein größeres Verstehen geschenkt wird, als es hier und heute möglich ist.
Paul Gerhardt, dessen Leben wahrlich nicht einfach und keineswegs frei von persönlichen Nöten war, wusste um den Wert des Wortes Gottes und um seinen rechten Gebrauch: „Das soll und will ich mir zunutz / zu allen Zeiten machen; im Streite soll es sein mein Schutz / in Traurigkeit mein Lachen / in Fröhlichkeit mein Saitenspiel; und wenn mir nichts mehr schmecken will, soll mich dies Manna speisen; / im Durst soll‘s sein mein Wasserquell, in Einsamkeit mein Sprachgesell / zu Haus und auch auf Reisen.“ (Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld).
Die Zusage Gottes, die wir aus den Worten heraushören, ist eine klare und gute Botschaft: Wir ganz persönlich gehören ihm. Nicht unserer Arbeit, auch wenn sie unsere ganze Kraft fordert. Wir ganz persönlich gehören ihm. Nicht anderen Menschen, die uns über Gebühr beanspruchen. Wir ganz persönlich gehören ihm. Nicht unseren unerfüllten Sehnsüchten und nicht dieser so schönen wie auch so schrecklichen Welt.
Wir gehören ihm. Wir hören sein Wort. Seine Mahnungen wie seine Zusagen rütteln uns auf, machen nachdenklich, beeinflussen unser Handeln – vor allem aber sind sie eine gute Basis, ein fester Halt und Grund. Und darum ist Gottes Wort eben auch all das, wovon Paul Gerhardt schreibt: Schutz gegen Anfeindungen, Aufmunterung in Trübsal, Nahrung im Mangel und Begleitung auf jedem unserer Wege.
Ob Sie nun diesen Sommer noch mit den „Flügeln der Morgenröte“ an ferne Gestade reisen oder lieber aus dem schönen Vogtland Urlaubskarten an ihre Lieben schreiben, ob schwere Wege vor Ihnen liegen oder etwas Neues beginnt: Gott wird Sie nicht aus dem Blick verlieren. Er hat eine gute Nachricht für Sie.
Sie finden sie nicht auf Ihrem Handy und nicht im Briefkasten, sind aber eingeladen zu lesen und zu hören, zu singen und zu beten, allein oder in der Gemeinschaft dieser Gemeinde. Er ruft sie. Er hat sie erlöst. Sie gehören ihm. Bleiben Sie in Verbindung!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.