Es gibt sie noch, die großen Herausforderungen und Abenteuer! Als wir Ende der 90er Jahre in Leipzig in relativ bescheidenen Verhältnissen lebten, zählten die Geburtstagsfeiern unseres großen Sohnes dazu: Pro erreichtem Lebensjahr einen Gast, so lautete die Regel – die hatten wir zu seinem 5. Geburtstag aufgestellt und damals noch keine Vorstellung davon, wie das später an seinem 8. oder 9. Geburtstag in unserer überschaubaren Mietwohnung funktionieren sollte.
Zum Glück war in der Nähe eine Kleingartenanlage und dahinter ein Wäldchen, wo man sogar ganz offiziell Lagerfeuer machen durfte und das sich hervorragend eignete für eine von uns eingeführte, überaus beliebte Geburtstags-Tradition: Die Schatzsuche! In einer kleinen Holzkiste wurden für jedes Kind ein paar Überraschungen und Süßigkeiten zurechtgelegt und die Kiste dann tief in einem Gebüsch, hoch oben im Geäst der Bäume oder an sonst einer verborgenen Stelle versteckt.
Mit zunehmendem Alter, wachsender Gästezahl und immer ausgefeilteren Suchmethoden verkürzte sich die Zeit bis zum glücklichen Fund – aber das war im Grunde zweitrangig, wie auch der Inhalt dieser Schatzkiste längst nicht so viel Begeisterung auslöste wie die Suche selbst! Die Freude daran, das Gemeinschaftsgefühl, das ganze Drumherum, das war und blieb der Höhepunkt dieser Feiern.
Kind müsste man wieder sein! Wo wir als Erwachsene unablässig abwägen, ja keinen Nachteil zu erleiden und oft wie in einem Wettkampf stehen, das Beste zu bekommen. „Das Leben als letzte Gelegenheit“, so beschreibt eine Soziologin dieses weit verbreitete Verhalten: Wo der große Rahmen oder ein Bewusstsein für tiefere Zusammenhänge fehlt, da gilt es, aus dem Hier und Heute das meiste herauszuholen. Carpe diem – als gäbe es kein Morgen mehr.
Wie sieht sie aus, unsere „Wert-Schätzung“? Häufen wir viele kleine Schätze um uns auf, damit sie uns das gute Gefühl geben, es zu etwas gebracht zu haben? Oder handeln wir eher wie die Investoren in den beiden Gleichnissen und setzen alles auf eine Karte, um wirklich nur das Beste, das einzig Wahre zu erlangen?
Ich kann bei Investitionen leider nicht mitreden: Ich finde, mit Geld spielt man nicht, und das Wesen des Börsenhandels ist mir mangels Fachkenntnis unergründlich und unheimlich.
Ich kenne solche Risikogeschäfte aber aus der freien Wirtschaft – wenn radikal umstrukturiert und neu ausgerichtet wird: Manchmal ist das unvermeidlich, und mal gelingt es, mal nicht. Wie ist das bei uns Gläubigen, wie ist das in der Gegenwart Gottes?
Wir haben Jesu Worte im Ohr, seine radikalen Forderungen, die Hand nicht wieder an den Pflug zu legen, auf großen Besitz zu verzichten für den Weg der Nachfolge. Wir hören von Jüngern, die ihren Beruf aufgeben, von Paulus, dessen Leben eine dramatische Wendung nimmt, und wir finden ähnliche Schilderungen auch im Alten Testament, wo die Erzväter und Propheten auf eine Verheißung hin den kühnen Aufbruch wagen.
Konsequent, kompromisslos, entschieden und aufrichtig – entsprechendes Handeln wird gern mit solchen positiv besetzten Attributen geschmückt. Und gerne verbindet sich damit auch ein Vorwurf an uns „normale, blasse“ Christen, wie auch an Pfarrerinnen und Pfarrer und an die Landeskirchen: Mehr Gradlinigkeit und Härte wird da gefordert, scharfe Trennstriche müssten gezogen werden usw. – offen bleibt nur, wo genau und zu welchem Zweck dies zu geschehen hat!
Aber vielleicht haben diese Stimmen ja recht: Damals, in Leipzig hatten wir als junge Familie auf wenigen Quadratmetern nur das Nötigste. Meine Hemden waren damals schmaler, der Kühlschrank weniger gut gefüllt, und dennoch: Wir kamen zurecht! Heute – nun ja, von meiner Konfektionsgröße ganz abgesehen stapelt sich so allerlei im Keller und auf dem Dachboden, und von Zeit zu Zeit muss auch mal entrümpelt werden.
2000 Jahre Kirchengeschichte, 500 Jahre evangelische Gemeinden in Sachsen – da ist über viele Generationen auch eine Menge hinzugekommen, gewachsen und aufgebaut worden: Nicht nur neue Gemeindeglieder und Kirchgebäude, sondern auch Lieder und liturgische Formen sind in den Jahrhunderten entstanden, zahlreiche Arbeitskreise und Gruppen, sehr komplexe Regelwerke und einiges an Bürokratie prägen das uns bekannte Bild von Kirche.
Muss da vielleicht auch mal entrümpelt, die Hand vom Pflug genommen, Kirchensteuern und -besitz aufgelöst werden? „Verschlanken“ nennt man das und versteht es zumeist als Rosskur und Allheilmittel überall dort, wo Sattheit und Trägheit überhandgenommen haben.
Viele sehen darin sogar eine missionarische Chance, wenn Kirche sich endlich all des Ballasts entledigen würde – einschließlich vermeintlicher Randthemen mit all den unangenehmen, weil kontrovers behandelten Fragen zu Umwelt, Politik und Gesellschaft. „Mensch, werde wesentlich – denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg: Das Wesen, das besteht!“ so dichtete schon im 17. Jh. der schlesische Arzt und Priester Angelus Silesius.
Doch was ist das „Wesen“? Was ist der Kern der christlichen Botschaft, unseres Glaubens, ja unseres Daseins und Lebenszwecks? „Jesus Christus“, ja, aber damit stellt sich diese Frage erst recht – was bedeutet Jesus Christus konkret für mich, für uns und unsere Mitmenschen?
Wahrscheinlich könnten wir endlos darüber streiten, ohne da auf einen alle überzeugenden Nenner zu kommen. Immerhin, das würde gar nicht groß auffallen: Zurzeit auch angesichts der bevorstehenden Wahlen streiten ja wieder so viele so leidenschaftlich und erbittert um die eine einzige Wahrheit, die allein seligmachen soll.
Ich habe da meine Zweifel und hoffe, dass uns die Vielfalt, die Lebendigkeit und eine Kultur respektvoller Auseinandersetzungen weiter erhalten bleiben: Sonst droht am Ende doch nur wieder eine öde Monokultur, wo Menschen selbstverliebt und unversöhnlich, freudlos und in Ablehnung vereint gegenüberstehen.
Wer meint, mit allen Fragen fertig zu sein, der sucht nicht mehr nach Antworten. Der ist für nichts mehr zu begeistern. Dessen Schatzkiste birgt keine Überraschung.
Für mich kann ich Gott sei Dank sagen, schon öfters Schätze gefunden zu haben – ganz ohne große Anstrengung oder Entbehrung, und vielleicht haben Sie ebenfalls schon solche Schätze in Ihrem Leben entdeckt: Wenn man eine Heimat findet, einen Ort, wo es sich leben lässt. Es kann auch eine geistige Heimat sein, die einem Frieden schenkt und das Herz ruhig werden lässt. Wo es weniger krumme und steinige Weg gibt als anderswo, keine abweisenden hohen Mauern, dafür gute Luft zum Atmen und mildes Wetter.
Unendlich kostbar ist auch die Erfahrung, geliebt zu sein – ohne dafür Begründungen liefern zu müssen, einfach so, trotz oder wegen all der Unzulänglichkeiten, Merkwürdigkeiten und Macken, die uns wie jedes der Kinder Gottes so einzigartig und unverwechselbar machen.
Und wie lohnend ist es, ein wenig von der eigenen Eitelkeit aufzugeben, auf unbarmherzigen Streit zu verzichten – und stattdessen frei zu werden von all den Ängsten, mit denen man sich verzweifelt klammert an die eigenen Fähigkeiten oder an andere Menschen, wohlwissend um alle Grenzen: Frei zu werden im Vertrauen auf eine Kraft, die weiter hinausreicht als ich es mir vorzustellen vermag. Die mir zugesagt ist in den alten Schriften der Bibel, die bekräftigt ist in Jesu Worten und Taten.
Allein aus Gnade, allein im Glauben: Eine Zusage, die tatsächlich wie eine Perle besonders und kostbar ist, und sie wird jedem von uns geschenkt, ganz persönlich, aus Liebe und ohne Bedingung! Das ist ein Grund zur Freude, die nicht rechnen und abwägen muss, die jeden Gewinn, jeden Verlust wie unser Hoffen und Bangen übersteigt.
Schätzen wir diese Zusage wert, wird unsere Suche niemals vergeblich und unsere Schatzkiste immer gut gefüllt sein.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.