Sans soucis

Wie war sie, ihre „liebe Sommerzeit“? Haben Sie die Sonnentage genossen, daheim oder an einem fernen Urlaubsort? Hatten Sie freie Zeit, zum Nachdenken, zum Entspannen? Hatten Sie ein Auge für die Vögel am Himmel, für die Blumen, für die herrliche Natur?

Ich frage das, weil es vielen Menschen gar nicht so leicht fällt, im Urlaub wirklich zur Ruhe zu kommen. Da müssen alle wichtigen Sehenswürdigkeiten abgehakt, mindestens ein halbes Dutzend Gipfel erklommen werden – und wehe, Sie haben weniger als 50 Urlaubsgrüße geschrieben und weniger als 500 Fotos geschossen! Wir haben doch jetzt all die Möglichkeiten, da sollen wir sie auch gefälligst nutzen.

Viele Reisende haben zudem schweres Gepäck bei sich: Machen im Betrieb meine Kollegen und Mitarbeiter auch alles richtig, wenn ich weg bin? Tagelang rund um die Uhr mit dem Ehepartner und den Kindern zusammen, ob das gutgeht? Und was das alles kostet!

Natürlich sind das überwiegend Luxusprobleme, Wohlstandssorgen, die sich mit ein paar Gedanken und Gesprächen meist schnell aus der Welt schaffen lassen. An ihnen zeigt sich jedoch eines: Dass wir überaus empfänglich sind für Bedenken, Zweifel und diffuse Ängste.

Dagegen steht der Satz, der uns im Evangelium wie auch im Episteltext begegnet: „Sorgt Euch nicht“. Wie schön, so etwas gerade in der Bibel zu lesen, von der doch so viele (v.a. Nichtchristen) immer behaupten, darin würde angeblich nur von Sünde und von moralischen Forderungen die Rede sein. Ein Aufruf nun also zur Sorglosigkeit, der uns übrigens erinnert an ähnliche Bibelverse, wo von Gott gerufene Menschen alle gewohnten Maßstäbe über Bord werfen – Verse, die nicht minder erstaunlich klingen und Fragen aufkommen lassen:

Wo bleibt da zum Beispiel die Gerechtigkeit, wenn ich nach einem Schlag auf die rechte Wange auch die linke hinhalte? Wie soll das gutgehen, wenn ich meine Feinde nicht abwehre, sondern liebe? Und was ist mit meiner Verantwortung für den Nächsten, wenn ich nun fröhlich alle meine Sorgen abschüttele wie Tropfen von einem Regenschirm, wenn mich nichts wirklich mehr berührt?

Gerade das letzte Beispiel macht denke ich deutlich, dass es hier, beim Aufruf zur Freiheit von Sorgen um etwas anderes geht. Es geht wohlgemerkt nicht um das Ausmaß der Sorge, Petrus schreibt nicht: Sorgt euch nicht um die kleinen Dinge, sondern nur um die großen, wichtigen. Nein, es heißt ganz klar: Alle Eure Sorge werft auf ihn, ganz egal worum es geht.

Und Sorgen, existenzielle Sorgen hatten die Gemeinden zur Zeit des Petrus mehr als genug: Sie waren an Mitgliederzahl gewachsen, mussten sich organisieren, vor allem aber gerieten sie immer häufiger in Konflikte mit ihrer Umwelt. Verleumdung, Schikane, grobes Unrecht und Gewalt wurden zu bedrohlichen Begleiterscheinungen des täglichen Lebens. Man muss schon völlig arglos oder blind sein, es da nicht mit der Angst zu bekommen, Angst um das eigene Leben wie auch um das von Angehörigen, von Glaubensschwestern und -brüdern.

Angst schreit nach Rettung, Sorgen verlangen nach einem Plan, Unsicherheit strebt nach Gewissheit. Das ist absolut verständlich und ganz natürlich. Ängste, Sorgen und Unsicherheit sind jedoch nicht nur Ausdruck von Gefahren, seien es eingebildete oder reale: Sie bereiten ihrerseits auch den Boden für weitere, neue und mitunter noch größere Gefahren. Paulus spricht hier mit eindrücklichen Worten von dem „Teufel, der umhergeht wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge“.

Können wir heute noch guten Gewissens vom Teufel sprechen? Nun, der feuerrote, gehörnte Kinderschreck aus den Drehbüchern der Puppentheater gehört sicher nicht mehr zu unserer Vorstellungswelt. Der Kampf gegen die unsichtbaren Gewalten steht jedoch nach wie vor zum Beispiel in meinem Ordensgelübde als Johanniter. Es ist der alte Kampf Gottes und der Gläubigen gegen die falschen Götzen und Verführer dieser Welt.

Und wer wollte leugnen, dass diese auch heute noch auf unseren Straßen umhergehen, in den Medien brüllen, lautstark für Gerechtigkeit und Sicherheit eintreten: Und die dabei doch nur die eigene Gerechtigkeit meinen und eine falsche Sicherheit versprechen, als eine trübe Mischung aus bequemer Abgrenzung und seelenloser Stumpfheit.

Getarnt als Anwälte des gerechten Volkszorns, als Verteidiger der Wahrheit und der guten Sache greifen sie dankbar auf, was ihnen hier und da an mitunter ja auch berechtigten Sorgen begegnet. Sie machen was daraus, zweifellos – doch daraus erwuchs noch nie etwas Gutes; ihre allzu einfachen Lösungen brachten am Ende stets nur saure Früchte hervor: Neue Verzweiflung, Elend und Not.

Der „altböse Feind“, wie Luther ihn nennt, meint nicht was göttlich, sondern was menschlich ist. Das macht ihn auf den ersten Blick so anziehend. Und genau das macht ihn so gefährlich: Der Teufel, so beschreibt es Umberto Eco in seinem Roman „Der Name der Rose“, der Teufel ist „die Anmaßung des Geistes, der Glaube ohne ein Lächeln, die Wahrheit, die niemals von Zweifel erfasst wird“. Geist, Glaube und Wahrheit – all das kennt auch der Teufel, aber alles ohne das einende, alles entscheidende Band von Gottes Güte und seiner Gerechtigkeit.

All eure Sorge werft auf Gott: Damit der Teufel sie nicht in die Finger kriegt und uns darin verstrickt und verleitet. Das ist natürlich leichter gesagt und getan! Der Theologe Samuel Keller schrieb vor rund 100 Jahren: „Unsere Sorge! Schade, dass wir es immer wieder mit diesem Gast zu tun haben. Und dieser Gast, die Sorge tut so, als ob sie mit uns verwandt und verwachsen wäre – als hätte sie ein natürliches Recht dazu, bei uns am Tisch zu sitzen, sich in alles einzumischen und das große Wort zu führen. Wieviel Tränen und Verstimmung hat sie uns nicht schon verursacht!“ Wie viel hat die Sorge schon in den Schatten gestellt und dort verkümmern lassen, was als Gottes Gabe doch so herrlich hätte blühen können!

Nun, wir werden diesen unliebsamen Gast zu unseren Lebzeiten nicht endgültig aus dem Haus jagen können. Zu vieles öffnet der Sorge immer wieder die Tür: Die Katastrophen dieser Welt, die Anforderungen des Alltags, ja selbst die liebende Fürsorge gibt uns eine Blöße und macht uns verwundbar für ihre Angriffe. Doch wir nehmen ihr zumindest ein stückweit den Stachel, entziehen ihr das Gift und ihren Einfluss, wenn wir ihr nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig schenken und uns stattdessen der „gewaltigen Hand Gottes“ anvertrauen, wie Paulus schreibt:

Dann macht uns die Sorge nicht zur leichten Beute für die Verführer, nicht zu hochmütigen Aposteln des Zorns, sondern zu demütigen Kindern der Liebe. Dann wird unser Leben zwar nicht unbedingt leichter oder sicherer, aber auf jeden Fall ehrlicher, gerechter und lebenswerter – für uns und unsere Nächsten.

Uns und unsere Nächsten mit allen Sorgen Gott anzuvertrauen, das ist allerdings keine einfache Übung, sondern kann recht unbequem und ermüdend sein. Es kostet Überwindung des eigenen Stolzes, nicht selber alles richten und regeln zu wollen. Es kostet manchmal große Geduld, all das auszuhalten, was uns abverlangt und zugemutet wird.

Und es kann auch bedeuten, verzichten zu müssen auf eine Erklärung für all das, was uns und anderen widerfährt: Als Kinder der Liebe, die ihre Sorgen Gottes gewaltiger Hand anvertrauen – im Gebet, im Gesang, in Gemeinschaft der Gläubigen und guter Gelassenheit – bleiben wir auch weiterhin Kinder dieser Welt und unserer Gesellschaft mit allem, was an Schönem und Schrecklichem dazugehört.

Das sorgenfreie Paradies auf Erden, wo alle Tränen abgewischt sind, das ewige Friedensreich – das bleibt ein Ziel sehnsüchtiger Hoffnung: Gott wird uns dahin führen, und nur er allein weiß den Weg und lässt uns durch seine Kraft alle Grenzen überwinden.

Die Vögel unter dem Himmel, die Lilien auf dem Felde – sie sind uns in dieser Jahreszeit gute Boten von Gottes Verheißung, von der wir so viel mehr erwarten dürfen. Ich wünsche Ihnen, dass sie in diesen letzten Sommertagen noch
vielen dieser kleinen und großen Botschafter begegnen, um sich von ihnen ermahnen und ermutigen zu lassen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.