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Nachklang

„Legenden der Leidenschaft“, so scheint es, wurden damals in der noch jungen Christenheit geschrieben: Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele! Alles war ihnen gemeinsam! Keiner litt Mangel, jeder gab jedem, was er nötig hatte, Wohlhabendere legten gar ihr Geld den Aposteln zu Füßen!

Aber wissen wir nicht längst, dass bei Geld die Freundschaft aufhört? Zumindest mischt sich hier ein unangenehmer Beigeschmack hinein: Kirche und Finanzen – ein langes und leidiges Thema.

Auch dass die Apostel, die Vertreter der Kirche mit großer Kraft die Auferstehung des Herrn Jesus bezeugen, das wird in letzter Zeit von manchen sehr kritisch ohne große Gnade hinterfragt. Und dass die Gläubigen unserer Tage alles gemeinsam haben, ein Herz und eine Seele sind – das denkt auch nur, wer noch nie in einem Kirchenvorstand gearbeitet hat oder sich mit Strukturreformen befassen durfte.

Karfreitag, Ostern, Pfingsten – es ist noch nicht lange her, dass uns die großen Botschaften dieser großen Feste zu Ohren kamen. Was davon klingt heute noch nach, was konnten wir davon für uns und unsere Mitmenschen, unsere Glaubensgeschwister und unsere Umwelt mitnehmen? Was für Gefühle, Gedanken, Hoffnungen teilen wir heute noch miteinander?

Nun ja, uns Deutschen und erst recht uns Protestanten wird ja eine gewisse Nüchternheit unterstellt. Große Emotionen wie in südlichen Ländern üblich sind unsere Sache nicht: Wir „machen unser Ding“, wie es so schön heißt, bleiben in allem maßvoll und gesittet.

Und doch staune ich, wie Menschen heute und hierzulande manchmal aus sich herausgehen: Die Friedens- und Umweltbewegung, die friedlichen Demonstrationen vor der Wende – da war doch etwas spürbar vom gemeinsamen Einstehen, vom leidenschaftlichen Einsatz, von großen Zielen! Und dann sehe ich mit demselben Staunen andere Menschen, die ohne echte Not gleich um ihre gutbürgerliche Sicherheit bangen oder den Verlust von Freiheit beklagen.

Was für Gefühle, Gedanken, Hoffnungen teilen wir, vor allem als Christen? Zu Beginn haben wir Psalm 34 gelesen: Ein Loblied, das mit einfachen, kurzen Sätzen das ganze Spektrum der Glaubenshoffnung und der Glaubensgemeinschaft beschreibt: „Die auf den Herrn sehen, werden strahlen vor Freude – die ihn fürchten, haben keinen Mangel – aus allem Leiden hilft der Herr“, und darum, so die Überschrift „soll sein Lob immerdar in meinem Munde sein“.

Zu rühmen und zu loben, auch diesen Luxus leisten wir uns nur selten: „Nicht gemeckert ist genug gelobt“, heißt es oft, das muss reichen! Wir mögen keine Höhenflüge; ungebremste Begeisterung und lauter Jubel sind uns suspekt – einen Führerkult kennen wir nur noch aus den dunklen Zeiten unseres Landes, auch haben wir lange genug mit staatlich verordneten Winkelementen am Straßenrand gestanden. Wir müssen die Geister unterscheiden:

„Meine Seele soll sich rühmen des Herrn, dass es die Elenden hören und sich freuen“: Weil ich aus aller meiner Furcht errettet wurde. Weil vor Gottes Angesicht die Schamesröte einer strahlenden Freude weicht. Weil Nähe und Hilfe auch denen zuteilwerden, die in der Welt keinen Halt und Trost mehr finden, deren Herz zerbrochen und deren Gemüt zerschlagen ist.

„Meine Seele soll sich rühmen des Herrn“: Weil alledem keine bloße Theorie, kein Parteiprogramm oder Wunschdenken zugrunde liegt, sondern weil wir schmecken und sehen dürfen, wie freundlich der Herr ist.

„Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist“: Mit diesen Worten wird zum Abendmahl eingeladen, wenn wir Leib und Blut Christi empfangen dürfen. Ein kleines Stück Brot nur, ein kleiner Schluck Wein – doch daraus spricht tatsächlich eine große Gnade, und eine große Verheißung: Liebe, die sich verschenkt. Vergebung, die frei macht von Schuld, frei macht zu neuem Leben. Die Nähe und Halt bietet auch dort, wo uns alles entgleitet. Diese Worte sind ein wunderbarer Zuspruch, doch zugleich auch ein Anspruch an uns!

Ich muss bekennen: Viele meiner Worte klingen nicht immer freundlich, sondern gallig und bitter. Aus meinem Mund sprechen oft Gleichmut, Ungeduld bis hin zum Zorn. Keine guten Leidenschaften, und nur wenig geeignet, Gott zu rühmen und zu loben. In meinem Zeugnis liegt keine große Kraft, vielmehr offenbaren sich meine Schwächen. Zu viel Geld habe ich für irgendwelchen Kram ausgegeben und nur das Wenigste gespendet oder geteilt. So schreibt man keine Geschichte, schon gar keine mutmachende „Apostelgeschichte“. Und doch:

Es ist genau dieses merkwürdige „Trotzdem“, das mich nicht loslässt. Natürlich kann man fragen: Wie kann es einen Gott geben, wenn Menschen so unvollkommen sind wie ich, wenn dies oder jenes Schreckliche passiert, wenn Unglücke nicht verhindert werden, Leid und Enttäuschung in der Welt so unübersehbar präsent sind!

Ich muss mich aber auch fragen: Woher die Freude in der Welt, die mir entgegenleuchtet in den Gesichtern so vieler lieber Menschen? Woher die Güter, die mich keinen Mangel leiden lassen? Woher die helfende Hand, die mich schon aus so manchem Schlamassel zog?

Ich will den Herrn loben allezeit: In Schönheit und Schrecken, bei Sonnenschein und Sturm, in meinem Beginnen und an meinen Grenzen. Ich will ihn loben, indem ich sein Handeln an mir nicht verleugne. Ich will ihn loben, indem ich ihn anrufe und mich nicht binde an meine Fehler und Unzulänglichkeiten. Ich will ihn loben als einer in der Menge der Gläubigen.

Nein, die Apostelgeschichte ist keine „Legende der Leidenschaft“ und auch kein Heldenepos: Sie berichtet von Gottes Handeln an ganz verschiedenen Menschen, an großen und kleinen, starken und schwachen, die im Grunde nur das Eine, aber das ganz entscheidend verbindet: Dass Gott an ihnen handelt, dass sie es vertrauensvoll annehmen und dass sie danach leben – auf ihre jeweils ganz unterschiedliche, unvollkommene Weise gleichsam in einem „Konzert der Glaubenszeugen“.

Misstöne und Dissonanzen bleiben da nicht aus. Nicht jeder hat geübt, nicht jeder hört auf den anderen oder achtet auf den Dirigenten. Doch ich höre eine schöne Melodie hindurch, die Liebe und Sehnsucht weckt, in mir und – Gott gebe es! – in ihnen und allen Menschen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus – Amen