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Lichtblicke

(Groß)elternfreuden – wir erleben sie gerade: Da entdeckt man wieder jene Liebe auf den ersten Blick, unzählige Fotos werden gemacht, nützliche und unnütze Dinge besorgt, man ist im reinen Freudentaumel. So klein! So niedlich! Fast vergessene Zukunftshoffnung vertreibt den Grauschleier matter Gewöhnung, ein zartes Menschlein lässt uns staunen über seine so wunderbare Entwicklung.

In der Adventszeit und zu Weihnachten – auch da lassen viele von uns „Fünfe gerade sein“, lassen sich mitnehmen von der festlichen Stimmung, sie schmücken und bereiten vor, als stünde die Welt zu Heiligabend einmal still: Heilsame Unterbrechung, Gefühle bekommen Raum, verschüttet geglaubte Erwartungen wagen sich ans Licht in dieser einen, besonderen Nacht. Herrlich ist das. Friedevoll. Ein frohes Fest!

Natürlich kennen wir alle auch die anderen, kritischen Stimmen: An einem Tag im Jahr soll auf einmal alles stimmig und harmonisch sein, Familie gefeiert werden – wo es sonst doch immer ein wenig knirscht und klemmt. An einem Tag soll daran gedacht werden, was doch eigentlich tagtäglich zu bedenken wäre und unseren Einsatz verlangt: Fürsorge, Nächstenliebe, Großzügigkeit, Herzlichkeit.

Wie sorgfältig wird der Tannenbaum ausgesucht, doch wie achtlos bald schon weggeworfen. Wie können wir soviel auf diesen einen heiligen Abend geben, wo uns doch sonst so wenig heilig ist? Und auch das Entzücken über einen neuen Erdenbürger bleibt nicht ungetrübt: Langsam könnte die Kleine ja nachts mal durchschlafen! Das Krabbelalter bleibt nicht frei von Flurschäden, erwachende Selbständigkeit wird mit wachsender Sorge als Trotzphase wahrgenommen.

Widerstreitende, gemischte Gefühle, die erleben wir nicht nur zu Heiligabend, hier treten sie meist nur besonders deutlich hervor – und ich halte das durchaus für ein gutes Zeichen! An diesem besonderen Tag wird es nämlich beiden schwer gemacht: Dem Allesschönredner wie dem ewigen Griesgram. Sie kommen hier nicht zum Zug, ihre Weisheiten sind halbe Sachen und werden den Realitäten daher nicht gerecht. Wir spüren das, instinktiv, wir dürfen daher weiterdenken, manch einer wagt sogar zu glauben!

Die Idylle, da im Stall von Bethlehem, sie hat ihren Wert und ihre Bedeutung. Es soll uns anrühren, wenn wir mit Maria und Josef, den Hirten und den drei Weisen das Wunder der Geburt neu erfassen. Doch wer die Bibel weiterliest, merkt schnell: Das ist beileibe kein Märchenbuch! Die volle Härte des Lebens zeigt sich darin, uns begegnen Flucht und Vertreibung, Mord und Betrug. All das Dunkle, was uns zurückschrecken lässt, das findet sich auch schon in jenen alten Schriften, steht in engem Zusammenhang mit der Weihnachtsgeschichte.

Für räumliches Sehen, für sichere Orientierung brauchen wir zwei Augen. Beide schauen in die gleiche Richtung, jedoch mit leicht unterschiedlichem Winkel. Aus den verschiedenen Sichtweisen formt sich dann im Kopf das Bild.

Gehen wir nochmal zurück zum kleinen Kind, in der Krippe oder im Kinderwagen: Ja, da sehen wir tatsächlich ein bezauberndes kleines Wunder. Aber wir sehen auch Verletzlichkeit, Schutzbedürftigkeit, spüren sein Angewiesensein auf andere Menschen – wohl auch auf uns.

Mit dem Kind wächst mit der Zeit mehr heran als nur eine große Gestalt. Die Menschen, die es heranziehen, es begleiten, sie wachsen mit, verändern sich gleichfalls ein Stück. Sie erfahren Stolz und Enttäuschung, lernen Vorsicht und Gelassenheit und entdecken dabei auch sich selbst neu, auf zuvor ungeahnte Weise.

Liebe Gemeinde, liebe Gäste: Heiligabend ist Ausnahmezustand und Lichtblick zugleich. Wir können nicht erwarten, dass von heute an alles anders, besser wird. Wir können aber auch nicht einfach so tun, als sei da nichts, können nicht Augen und Ohren, Herzen und Sinne verschließen vor dem, was über Konfession und kirchliche Bindung hinaus hier mit Händen zu greifen ist!

Hohes und Tiefes, beides gilt es gleichzeitig im Blick zu behalten, wenn wir unser Leben und das anderer begreifen wollen. In der Geburt im Stall von Bethlehem führt Gott uns das vor Augen: Er fängt im Kleinen an. In Jesus Christus durchleben, durchleiden wir die mitunter schmerzvollen Gegensätze in dieser Welt, Liebe und Zorn, Vergebung und Sünde, Untergang und Auferstehung.

Christen in aller Welt feiern heute den Grund ihres Glaubens, den Anfang eines Weges, der nicht unscheinbarer hätte verlaufen können, und der so vielen Menschen einst wie heute Grund guter Hoffnung ist, über alle Grenzen hinaus. Die Krippenspieler erzählen uns gleich davon auf ihre ganz eigene Weise.

Lassen wir sie an uns heran, die wundersame, weil so vieldeutige Botschaft des Heiligabend. Spüren wir ihr nach, wie die drei Weisen es taten, nehmen wir vertrauensvoll das Geschenk an, dass Gott an einem Abend wie heute Mensch geworden und in unsre Mitte gekommen ist – als schwaches Kind, als mächtiger König, als ersehnter Retter – als ein Licht, das bis an die Enden der Erde reicht. Und er wird der Friede sein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus – Amen.