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Leitplanken

Wer Wert legt auf Recht und Ordnung, der braucht viel Geduld und obendrein ein gutes Gedächtnis: In Deutschland haben wir derzeit rund 1.800 Gesetze, und jedes Jahr kommen weitere 20 bis 30 hinzu.

Manche halten das für eine überbordende Bürokratie, andere für immer noch viel zu wenig – je nachdem, wie viel Eigenverantwortlichkeit und Anstand man den Menschen in diesem Land zutraut, und wie viel Missstände man abstellen möchte, allen voran natürlich bei „diesen und jenen“, nur nicht bei sich selbst!

Mit den bekannten zehn Geboten ist uns also ein vergleichsweise kompaktes Regelwerk gegeben. Es findet sich einiges selbstverständlich Scheinendes darin – fast überflüssig, es nochmal zu erwähnen: Schließlich sind wesentliche Elemente jener zehn Gebote auch über viele Jahrhunderte eingeflossen in allgemeingültige Gesetze, haben das Denken und Handeln in vielen Gesellschaften und Kulturen über den jüdisch-christlichen Kontext hinaus geprägt.

Und wer Christenlehre, Konfirmationsunterricht oder Glaubenskurse miterleben durfte, der oder die musste die zehn Gebote oft noch auswendig lernen und so verinnerlichen. Das „Einprägen mit dem Rohrstock“ zählt dabei zu einer Vergangenheit, die sich wohl niemand zurückwünscht – das Wissen um einen von Gott gegebenen Rahmen jedoch kann helfen, Erfahrungen und Erlebnisse wie auch die eigenen Entscheidungen besser einzuordnen!

Manchmal werden wir Christen ja belächelt wegen jener alten Gebote: Wir gelten als verklemmt oder unfrei, als altmodisch und inkonsequent. Und wenn ich mich so im Spiegel betrachte, muss ich sagen: Ja, stimmt! Für ein Kind Gottes stelle ich mich manchmal ziemlich ungeschickt an, und bin weiß Gott kein strahlendes Vorbild.

Aber gerade deswegen bin ich froh über die Leitplanken, die mir durch die Gebote, den Glauben und die christliche Gemeinschaft gegeben sind – was dagegen eine als Freiheit missdeutete, blanke Willkür mit Menschen anrichtet, das habe ich schon zu oft mit Schaudern mitansehen müssen.

Im Straßenverkehr sind Leitplanken sind dazu da, damit man nicht vom Weg abkommt und nicht sich und andere gefährdet. Überhitzte Gemüter mögen dies als „Diktatur des Straßenbauamts“ werten: Ich für meinen Teil habe jedoch lieber eine Schramme am Kotflügel, um nicht Schlimmeres verschuldet zu haben!

Der Sinn von Geboten wird am deutlichsten, wenn wir sie in unseren Alltag übersetzen: Ich war selber noch nie in Ägyptenland, habe weder Knecht noch Vieh – aber dass Gott mich auf seine wundersame Weise herausgeführt hat aus manch bedrohlicher Situation, das unterschreibe ich sofort!

Auch hat es mir nicht gutgetan, wenn ich anderes an erste Stelle gesetzt habe: Wenn ich bis zum Rand der Erschöpfung gegangen bin, um als „Held der Arbeit“ gefeiert zu werden, und am Ende doch nur ein armer Teufel gewesen bin. Wenn meine Bindung und Bewunderung anderen Dingen galt als jenem so schwer fassbaren Gott, meine Hoffnung auf Wahrscheinlichkeiten und Prognosen ruhte und ich mir anderer Menschen allzu sicher war – dann fand ich selten Barmherzigkeit.

Wie oft vergesse ich, dass nicht nur das Tagwerk eines Menschen seine Würde hat, sondern auch sein Ruhen und sein Stillesein. Wenn wir uns ein Stück zurücknehmen und anderem Raum geben, dann hat das Heilige und Heilsame auch eine echte Chance, auf uns zu wirken – wenigstens einmal die Woche!

Zeit, anzuhalten und zurückzuschauen: Auf Menschen, die für mich sorgten, als ich es nicht konnte. Eltern, Geschwister, Weggefährten. Menschen, die ganz sicher ebensowenig perfekt waren wie ich, deren Fehler und Versäumnisse aber auch nicht vollständig mein Leben bestimmen. Sie verdienen Respekt, in angemessenen Grenzen, in angemessener Form. Lernen wir mit ihnen, einander zu achten und zu verzeihen.

Lernen wir das Leben zu schätzen – Leben, das bei allen Menschen so reich ist an Träumen und Verletzungen, an Eindrücken und unerfüllt Gebliebenem: Es verdient, bewahrt, geschützt und verteidigt zu werden gegenüber Hass und Zorn, Machtstreben und Verlustängsten.

Leben ist mehr als bloßes Überleben: Liebe und Vertrauen, Heimat und Sicherheit, das Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit, all das gehört untrennbar dazu – und wenn wir uns dafür stark machen, dann bitte auch für die, die schwach und ohne Stimme sind!

All das ist im Grunde überflüssig zu erwähnen, wenn wir nicht so vergesslich, so leicht abzulenken wären: So vieles beschäftigt uns, greift nach uns, lässt uns nicht los – der Blick verengt sich, und der Himmel wird stumm.

Mit uns kann Gott nicht rechnen – aber wir mit ihm, wider allen Augenschein: Er geht über die Scherben unseres Lebens, nimmt von uns die Last des Unerträglichen und führt uns sicher über die Abgründe, die eigene und fremde Schuld aufgetan haben.

Auch nicht das beste Gesetz vermag die schreckliche Tat zu verhindern. Kein Gebot löscht restlos aus, was uns und anderen an Leid geschah. Es war eine unheimliche Atmosphäre, damals, an jenem Berg in der Wüste Sinai, und auch uns machen die zehn Gebote heute das Herz nicht leicht:

„Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, euch zu versuchen, damit ihr’s vor Augen habt, wie er zu fürchten sei, und ihr nicht sündigt“, heißt es weiter in unserem Kapitel. Aber wie das so ist mit Prediger und Propheten: Sie gelten nichts in ihrem Heimatland, und ihre Worte verlieren schnell an Kraft.

„Fürchtet euch nicht“: Das ist nicht die Botschaft, die wir in den Nachrichten empfangen, die uns auf Demonstrationen entgegengerufen wird oder die auf Wahlplakaten steht. „Fürchtet Euch nicht“, das steht all dem entgegen, was wir an Kriegen und Katastrophen erleben, was die sterbenden Wälder uns für die Zukunft auch hierzulande prophezeien, und was an Menschenverachtung und Eigensucht einem auf der Straße begegnet:

Wie Gott zu fürchten sei, das versteht nur, wer seiner Liebe vertraut und sich darin ein Leben lang immer wieder übt. Das ist das höchste Gebot, wie Jesus es uns lehrt: Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Mit seinem Leben, mit seinem Tod und seiner Auferstehung, wodurch er uns den Weg zu einem neuen Leben bereitet hat.

Viel Geduld und ein gutes Gedächtnis, das brauchen wir alle – in Blick auf Recht und Ordnung, und noch viel mehr für ein Leben, das sich unter Gottes Gebot gestellt sieht und darum Hoffnung und Liebe über alles stellt: „Fürchtet Euch nicht!“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.