Kopfwäsche

Eine donnernde Bußpredigt, mitten in der schönsten Weihnachtszeit: Welcher Prediger, welches Gemeindemitglied sehnt sich nicht manchmal danach? Wenn die seltenen Gäste sich mal wieder in der Kirche blicken lassen, vielleicht auch die „Rosinenpicker“, denen es nur um die schöne Stimmung geht, oder gar die heimlichen Spötter, die sich lustig machen über alles Erhabene und Feierliche:

Dann könnte man es doch mal so richtig krachen lassen, dass ihnen der Schreck in die Glieder fährt! Damit sie endlich merken, dass es ernst ist mit der christlichen Botschaft! Dass Gottes Wort mehr bedeutet als Harmonie und Kerzenschein!

Ich habe Kollegen auf Arbeit, über die zu Heiligabend ein solches Donnerwetter von der Kanzel hereingebrochen ist. Kopfschütteln und Unverständnis war ihre Reaktion: Da machen wir uns als Nichtchristen auf den Weg in die Kirche,
und werden dann so heruntergeputzt! Einladend ist das nicht, und die erhoffte Besinnung und Bekehrung trat natürlich auch nicht ein.

Christen und Nichtchristen blieben sich fern, ihre Gedanken und Hoffnungen fanden keinen gemeinsamen Raum, keinen gemeinsamen Ausdruck. Das Gleiche gilt umgekehrt genauso für Veranstaltungen, die aus allzu großer Rücksichtnahme „Gott“, „Jesus“ und das Wunder des Heiligen Abend gar nicht erst zur Sprache bringen. Da erregt dann nichts mehr Anstoß, aber da bleibt es dann eben auch bei Kaffee und Kuchen, bei „small talk“ und Harmlosigkeiten, alles unverbindlich, nett und nichtssagend.

Johannes der Täufer hatte es damals auf gewisse Weise einfacher als wir heute in unseren beheizten Kirchenbänken: Er predigte in der Wüste, an einem Ort also, wo man sich nicht so leicht hin verirrt, der schon von sich aus wenig einladend war. Johannes konnte sicher sein: Wer zu ihm kommt in diese unwirtliche Gegend, der sucht bereits etwas, der scheut keine Mühen und Wege. Dem ist es ernst.

Der kath. Theologe Eugen Drewermann schrieb über die Wüste: „Sie ist das Terrain der Wahrheit. In ihr überlebt nur, wer ihr seelisch gewachsen ist: In ihrer grenzenlosen Einsamkeit. In dem krassen Wechselspiel ihrer Gegensätze der kälteklirrenden Nächte und der hitzeflirrenden Tage, der starrenden Zonen des Todes und dann der wenigen Oasen explodierenden Lebens. An jeder Stelle zwingt die Wüste unerbittlich zur Entscheidung: Nichts Überflüssiges duldet sie, alles Nebensächliche macht sie zum Ballast. Nur noch die wesentlichen Fragen sind in der Wüste erlaubt.“

Dort, in dieser kompromisslosen Umgebung ohne jede Heimeligkeit, ohne jeden Komfort trifft der Bußprediger Johannes auf seine Hörer. Er ist ein besonderer Prediger, und die zu ihm kommen, sind Hörer mit besonderen Erwartungen. Sie wollen anschließend nicht wieder gehen, um weiterzumachen wie bisher: Sie ruhen sich nicht aus auf ihrem Status als Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Sie sind hungrig nach Gott und wollen, dass ihr Leben neu wird.

Neu werden – das ist es, was auch wir uns oft wünschen. Loskommen von den vielen Bindungen, die unser Leben diktieren: Beruf, Beziehungen, Bausparvertrag – das alles sollte uns doch das Leben schöner machen, das alles raubt uns manchmal aber die Luft zum Atmen. Neue Wege finden, die nicht immer wieder im Ewiggleichen münden, sondern die echte Perspektiven bieten, die unsere Hoffnung aufleben lassen, unsere Begeisterung wecken. Das Ende der krummen Wege, der ewigen Berg- und Talfahrten, der verstellten Horizonte: Ja, das wäre es! Das würde sich auch heute manch einer, ob Christ oder nicht, in großen Lettern auf den Wunschzettel schreiben.

Buße – Abkehr vom Alten, Lebensfeindlichen – und Umkehr, Neuausrichtung sind die biblischen Begriffe für dieses „neu werden“, über das auch Johannes predigt. Er sieht sich dabei in guter Tradition zu den alten Propheten und ihrer Botschaft vom Kommen Gottes. Denn, so seine Botschaft, meine Umkehr ist nur möglich, wenn Gott zu mir kommt und mich leitet.

Was kann ich, was soll ich dabei tun? Die Empfehlungen des Johannes klingen fast zu einfach: „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold! Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater.“

Mit anderen Worten: Handle, wo immer du stehst, wie es gottgefällig ist. Verlass dich nicht auf deine berufliche oder gesellschaftliche Position, dein Einkommen oder Wissen, deine Herkunft oder Hautfarbe. Mach keine Unterschiede dort, wo letztlich keine sind: Denn alle Menschen leben von der Liebe und Vergebung ihrer Brüder und Schwestern, alle sind sie gleichermaßen angewiesen auf die befreiende Gerechtigkeit Gottes. Es ist nicht unbedingt schmeichelhaft, wohl aber heilsam, sich diese Wahrheit sagen zu lassen und sie sich zu Herzen zu nehmen.

Die Predigt des Johannes ist nicht weniger als die Botschaft vom Reich Gottes, das uns Jesaja verheißt, wenn er schreibt: „Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden.“ Dann finden die Stummen ihre Sprache wieder, dann gehen den Tauben die Ohren auf und den Blinden die Augen, und den Armen und Verlorenen wird das Evangelium gepredigt.

Die Predigt des Johannes macht damit deutlich, dass Advent nicht etwa die Zeit ist, wo die Fröhlichen nun noch fröhlicher, die Traurigen noch trauriger und die Einsamen noch einsamer werden. Der Aufruf zu Buße und Umkehr bedeutet auch: Wir richten unsere Augen und Erwartungen auf Gott und sehen unser Leben wie das unserer Nächsten in seinem Licht.

Das Evangelium, die gute Botschaft vom Reich Gottes, sie ist zu schade für eine donnernde Bußpredigt am Heiligabend. Sie muss anders formuliert werden, wenn sie nicht in der kargen Wüste, sondern im undurchdringlichen Dickicht der Beliebigkeit und Gleichgültigkeit unserer Zeit Gehör finden soll: Und ja, sie ist eine Kritik an unserer Selbstherrlichkeit und am menschlichen Urteil – eine Zumutung fast, die im Widerspruch steht zu vielem, was uns in der Welt so alles begegnet an Negativschlagzeilen, an Vorurteilen und an erbärmlicher Einfalt.

Wenn heute leichthin über Frieden, Liebe, Gesundheit und Gerechtigkeit gesprochen wird, muss die Botschaft vom Reich Gottes erst wieder deutlich machen, dass Frieden weit mehr bedeutet als das zeitweise Schweigen der Waffen. Dass Liebe viel weiter reicht als bloße Sympathie und Lust. Dass Gesundheit auch gesunde Beziehungen und gesunde Lebenshaltung einschließt. Dass Gerechtigkeit über Paragraphen und Anspruchsdenken hinausgeht.

Es sind nicht nur die sog. „Kirchenfernen“, denen all dies ins Gedächtnis zu rufen ist. Die Botschaft und der Ruf zur Erneuerung, sie gelten auch uns. Als eine Zeit der Erwartung, der Geduld und eigentlich auch des Fastens lädt die Adventszeit uns dazu ein, dem Prediger in der Wüste nachzugehen und unserem Herrn den Weg zu bereiten – in der Welt, in unseren Häusern und in unseren Herzen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.