Ins Unbekannte

An der Schwelle, am Übergang zu etwas Neuem zu stehen – das ist „nicht ohne“! Wenn bei einem Umzug die alte Wohnung leergeräumt, das persönliche Hab und Gut in den Möbelwagen verladen ist – dann ist das ein komisches Gefühl:

Die neue Wohnung, kann sie das bieten, was zurückgelassen wird? Die Fremde, in die man zieht – kann sie zur neuen Heimat werden?

Johannes der Täufer war gewissermaßen ein „Umzugshelfer“: Als letzter der Propheten war er zugleich einer der ersten Zeugen Jesu. Johannes und Jesus waren Altersgenossen, entfernte Verwandte sogar, und doch sehr verschieden. „Ich kannte ihn nicht“, zweimal lesen wir diesen Satz.

Dass Angehörige mitunter fremd bleiben, ist ja nichts Ungewöhnliches – aber hier staunt man doch: Solche Worte ausgerechnet von dem zu hören, der die bevorstehende Ankunft des Messias predigte!

Das Leben des Täufers, jenes Propheten in der Wüste war ja ganz darauf ausgerichtet: Er war an den Jordan, den Grenzfluss gegangen, hatte das normale Leben, die Gemeinschaft mit den gewöhnlichen Leuten ein für allemal hinter sich gelassen. Als Asket, der die Lebensbedürfnisse auf das Nötigste reduziert, trug er seine Botschaft regelrecht am Leib:

Kehrt um! Tut Buße! Verlasst Euch nicht auf das Vergängliche, stützt euch nicht auf brüchige Sicherheiten, bindet euch nicht an diese Welt, die so voll ist von Falschem, von Irrtum, Bosheit, schönem Schein!

Johannes der Täufer macht reinen Tisch, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken: Das Kommen Gottes in dem Mann, der, wie er sagt, vor ihm und vor aller Zeit gewesen ist. Auf den der Geist Gottes wie eine Taube vom Himmel herabfahren und auf ihm bleiben wird. Der Gottes Sohn ist und der Welt Sünde tragen wird, damit sie und alle, die in ihr leben, nicht daran zerbrechen, damit Gottes Geist und der Geist von uns Menschen sich begegnen können.

„Nahe wollt der Herr uns sein, nicht in Fernen thronen – unter Menschen wie ein Mensch hat er wollen wohnen“, heißt es in einem Weihnachtslied des niederländischen Theologen und Dichters Huub Oosterhuis. Diese Botschaft, die wir in den zurückliegenden Wochen so oft und so wohltuend gehört haben, wird jedoch am Ende jeder Strophe gestört durch den Refrain, wo es heißt: „Mitten unter euch steht er, den ihr nicht kennt“.

Gott mitten unter uns, in Jesus Christus – bei aller Weihnachtsfreude, bei allem Bekenntnis der weltweiten Christenheit doch immer noch der „große Unbekannte“? 

Bei Johannes mag ich das ja noch gelten lassen: Er war mehr Vorläufer als Nachfolger, er machte sich auf, ohne das Ziel, die Erfüllung schon genau zu kennen. Er stand damit in der Tradition der Väter, von Mose und Abraham, die auf ihren Wegen geleitet wurden vor allem durch mutiges Gottvertrauen und der Gewissheit, dass das verheißene Ziel besteht, auch wenn man es noch nicht erkennt.

Als Glaubensgemeinschaft, als Weggemeinschaft stehen auch wir in einer langen Tradition und sind zugleich doch immer Pioniere, Zeugen des „ganz anderen“ inmitten unserer Zeit: Wir Christen folgen keinen Versprechungen vom „Paradies auf Erden“, sondern hoffen allein auf Gott, auf seine Gerechtigkeit, seine Liebe, seinen Frieden, wie ihn die Welt nicht geben kann.

Eine Woche ist das neue Jahr nun alt: Welche neuen Ufer werden wir erreichen, welche Abschiede nehmen, wo wird es Aufbrüche geben, was gilt es abzubrechen und hinter sich zu lassen? Welche Altlasten schleppen wir mit, weil wir nichts Neues zur Hand haben? Welche Kiste wird wie nach einem Umzug ungeöffnet bleiben, vergessen und wertlos werden?

Viele sehen in Johannes den Täufer ja ein Vorbild des Glaubens: „Ich kannte ihn nicht“, sagt er, „aber…“ – und dann erzählt er von seiner Hoffnung, die aus dem gewachsen ist, was er bei den Vätern und Propheten gelesen hat. Er legt Zeugnis ab von dem, was er gesehen und erlebt hat, wie Gott sich ihm gezeigt hat, ihm nahegekommen war. Johannes predigt also nicht aus der „hohlen Hand“, aber auch nicht von der hohen Warte eines von Gott Berufenen und darum besonders Erhabenen und „Erleuchteten“ aus.

„Ich muss abnehmen, er aber muss zunehmen“ – das sind die Worte des Täufers, unter die wie uns in einem halben Jahr, am Johannistag, gewissermaßen zum „Bergfest“ wieder stellen.

Glaube, christliches Zeugnis drückt sich aus im Denken, Reden und Handeln. Unsere Haltung sollte uns erkennbar machen als Christen, aber wie die des Johannes zurückstehen hinter der Botschaft, hinter dem Wesentlichen, dem, was zeitlebens auch uns Christen immer ein Stück fremd, unverfügbar und unerkannt bleibt.

Bei Gott liegt die letzte Erkenntnis, er hat das letzte Wort. Eitelkeiten wie auch die Forderung nach absoluter Deutungshoheit oder „Systemrelevanz“ sind da fehl am Platz. Das bedeutet aber auch: Welch eine Entlastung für die Wege, die vor uns liegen!

Die anderen Zeugen, die Jünger, die ihren Herrn oft missverstanden, ihn verleugneten, unfähig waren, auszuhalten und mit ihm zu wachen, oder der Hauptmann und die Schächer am Kreuz: Auch sie waren ja keine Heldengestalten, aber in ihrem ach so menschlichen Bekenntnis auch Vorbilder des Glaubens.

Selten sind Menschen eindeutige Botschafter. Viele senden verwirrende Signale: Was davon entspringt dem Glauben, was ist eher individuelle Färbung, und was ist gnädig zu vergeben?

Einigen ist der Glaube in die Wiege gelegt worden, andere hatten einschneidende Erlebnisse, die sie veränderten, und wieder andere geben leise, aber nachhaltig Zeugnis durch das, wo ihnen Gott in ihrem Alltag begegnet ist. Alle sind sie auf ihre Weise Beschenkte, folgen ihrem Herrn Jesus Christus nach auf unterschiedlichen Wegen, oft getrieben von falschem Ehrgeiz, Unsicherheit und Furcht, doch zum Ziel geleitet als Kinder Gottes durch seinen guten Geist.

Was uns trennt, von ihm und voneinander, was die Welt dunkel werden lässt unter dem hellen Stern, das trägt er in Jesus Christus für uns ans Kreuz. Wo unser Weg endet durch Krankheit, Schmerz und Tod, hebt und trägt uns Christus, der Auferstandene. Wo das neue Jahr nicht zu erkennen gibt, wohin die Reise geht und was uns erwartet, da dürfen wir uns erinnern an die Botschaft von Weihnachten und uns leiten lassen von seinem Geist. Noch einmal Oosterhuis:

„Überall ist er uns nah, menschlich uns zugegen. Unerkannt kommt er zu uns auf verborgnen Wegen. Freuet euch, von Sorge frei tragt vor ihn die Bitte, dass er uns ganz nahe sein, wohnt in unsrer Mitte.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen