Starke Worte, in die uns der Apostel Paulus da hineinnimmt. Denn er spricht ja von uns allen, von allen Christen, wenn er schreibt: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott“. Na also: Da haben wir schon mal eine Sorge weniger! Das schwerste Wegstück liegt offenbar hinter uns, und ans glückliche Ziel zu gelangen scheint jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Ja, Paulus setzt sogar noch einen obendrauf: „Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.“
Was uns nicht umbringt, macht uns stark – diesen Spruch kennen Sie wohl alle. Oft ist es eine gut gemeinte Ermunterung vor schweren, aber nicht unmöglichen Aufgaben. Es ist ein Ausdruck von Zutrauen: Du schaffst das schon, du stehst das schon irgendwie durch! Für manche Herausforderungen im Leben mag das passen, für eine Prüfung zum Beispiel oder eine große, neue Aufgabe – aber diesen Zuspruch über das ganze Leben zu stellen scheint mir doch sehr gewagt. Haben wir eine solche Rossnatur, sind wir – vor allem in Glaubensdingen – so gewappnet und so stark, dass wir allen Schwierigkeiten ins Gesicht lachen können?
Einer der großen Glaubenszeugen unseres Jahrhunderts ist der Dichter Jochen Klepper. Von ihm stammen zahlreiche Liedtexte in unserem Gesangbuch, so auch unser heutiges Eingangslied „Er weckt mich alle Morgen“. Am Morgen des 11. Dezember 1942 fand man Jochen Klepper tot, zusammen mit seiner jüdischen Frau und einer Stieftochter. Sie hatten sich in der Nacht zuvor das Leben genommen, nach Jahren unermüdlicher, geduldiger Versuche, ihrer Verfolgung und drohenden Verhaftung zu entgehen. Sie scheiterten damit.
Und wir kennen andere Beispiele solchen Scheiterns: Die Jünger, die nicht wach bleiben können, als Jesus sie in Gethsemane darum bittet. Petrus, der „Fels“, der den Namen seines Herrn dreimal verleugnet, kaum, dass sie getrennt
wurden. Und schließlich die Worte Jesu am Kreuz: „Herr, Herr – warum hast Du mich verlassen?“ Nein, gerade die
Passionszeit ist nicht die Zeit des Rühmens, nicht die Stunde der Stolzen und Sicheren. In der Liturgie der Passionssonntage singen wir kein „Ehre sei Gott in der Höhe“ und auch kein „Halleluja“, denn die Zeit des Leidens, der Bedrängnis lässt uns vor allem eines werden: Stumm.
„Ihr Christen habt es einfach, ihr habt ja immer noch euren Glauben!“ Wer so redet, der weiß nicht wovon er spricht. Solche Einschätzungen christlicher Mitmenschen speisen sich meist aus der Annahme, wir Christen hätten stets einen reichen Vorrat an mutmachenden Bibelworten zur Hand, der uns in jeder Situation, bei jedem noch so erschütternden Erlebnis klare Orientierung gibt und uns so das Denken und Fühlen und Weitergehen im Glauben erleichtert.
Doch wir alle wissen, dass es so nicht ist, dass so die christliche Botschaft nicht gelebt wird und dass auch die Worte des Paulus nicht in diese Richtung gehen. Zu verstummen, sprachlos zu werden – das ist auch für Christen gutes Recht, ja manchmal sogar heilige Pflicht.
Der Autounfall, die Kündigung im Betrieb, die zerbrochene Ehe: Zahllos sind die Fälle im Alltag, wo Mitmenschen dem Urteil anderer ausgesetzt werden, wo sie altkluge Kommentare, Kopfschütteln, Ignoranz und Vorwürfe ernten. Als Christen wissen wir, wie dicht oft Gelingen und Scheitern im Leben nebeneinander liegen. Und als Christen haben wir damit leben gelernt, dass die Burgen dieser Welt keine dauerhafte Zuflucht bieten, ja, dass wir selbst letztlich nur Gäste sind auf Erden. Auch dies bewahrt uns vor Überheblichkeiten und falschem Stolz – eben jene Haltungen, mit denen manche Nichtchristen mitunter so erschreckend einfach durchs Leben kommen.
Demut, Mitleiden mit dem Nächsten, Verzicht auf Sicherheiten – das klingt alles ganz anders als bei Paulus, der aber doch all das auch gekannt haben muss? Als er der Gemeinde in Rom schrieb, muss ihm doch klar gewesen sein, dass dort ähnliche Fragen im Raum standen wie heute hier bei uns?
Sehr persönliche Briefe enden manchmal mit dem Satz: „Ich denke an euch!“ Damit wird ausgedrückt, dass man den Adressaten nahesteht, dass man um ihre Gefühle und besondere Situation weiß. „Ich denke an euch“, das bedeutet: Ich kann mir vorstellen, was euch bewegt, was euch bevorsteht, und ich bin euch in Gedanken verbunden.
Die Gemeinde in Rom war noch jung, in dieser großen Stadt bildeten die Christen eine Minderheit, die mit sich und ihrer Umwelt noch sehr zu kämpfen hatte: Angefochten und verfolgt von außen, herausgefordert von den Anfragen und Anliegen alter wie neu hinzukommender Gemeindemitglieder.
Paulus schreibt dieser Gemeinde in Rom von der Rechtfertigung: Davon, wie der Mensch ohne Werke, sondern einzig und allein durch die Gnade Gottes und das Geschenk des Glaubens gerecht wird. Paulus schreibt ihnen auch von Abraham, der geglaubt hat auf Hoffnung, wo im Grunde nichts zu hoffen war. Der Gottes Ruf folgte und seine vertraute Heimat verließ, um als Fremder in der Welt auf dem Weg der Verheißungen Gottes zu gehen.
Diese Unsicherheit, dieser Bruch mit bequemen Alltagsweisheiten und Normen – das dürfte die Gemeinde in Rom an ihre eigene Situation erinnert haben. Auch sie hatten sich von den Gewohnheiten ihrer Mitmenschen gelöst, ihren römischen Bürgerstolz abgelegt, vielleicht auch Ansehen und Karriere geopfert, um dem Ruf ihres Glaubens zu folgen. Wie bei Abraham, so war das auch für sie kein einfacher Weg. Wie Abraham hatten auch sie Kämpfe zu durchstehen, Zweifel auszuhalten, Sprach- und Hilflosigkeit zu ertragen auf ihrem Weg.
Paulus schreibt: „Ich denke an euch“, indem er sie in die Gemeinschaft der großen Glaubenszeugen stellt – aber nicht, um sie zu Überheblichkeit und Stolz zu verleiten, sondern um ihnen mit diesen Beispielen und Vorbildern Mut zu machen: Wie bei Abraham, so kann auch euch die Bedrängnis zur Geduld führen. Wie Abraham, so könnt auch ihr in eurer Geduld die Erfahrung machen, wie Glaube sich bewährt. Und wie Abraham könnt auch ihr in der Bewährung erfassen, was Hoffnung bedeutet und welche Kraft von ihr ausgeht.
Das sind in der Tat Tugenden, die eure Umwelt so nicht beherrscht, und der ihr euch rühmen könnt – nicht, weil ihr so stark seid, sondern weil ihr dabei erfahren durftet, wie mächtig Gott an euch handelt und wozu ihr weit über die Hoffnungen dieser Welt hinaus berufen seid.
Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, und noch viel weniger ein stilles Ufer, an dem der Gläubige nun getrost und ruhig an Land gehen kann. Nur selten führt die christliche Botschaft auf einem glatten goldenen Pfad durchs Leben, viel öfter ist es ein Kreuzweg.
Er kann uns Geduld lehren, wie so vielen, die sich mit ihrem Glauben im Alltag, in Beruf und Familie behaupten müssen. Die sich die Frage gefallen lassen müssen, was er ihnen denn bringe, dieser Glaube. Warum man nicht Kirchensteuer sparen wolle, gerade in finanziell so schwierigen Zeiten. Und wie man mit Gott das alles erklären will, was in der Welt so vorgeht. Ja, solche Fragen können Geduld lehren, und lassen uns bestenfalls Kraft im Gebet suchen.
Dieser Kreuzweg, auf den Gott uns ruft, kann Hoffnung schenken gerade auch jenen, die an der Welt verzweifeln, die auf der Suche sind nach Wahrheit, Sinn und Gerechtigkeit. Die die Grenzen erkennen von Politik und Gesellschaft, und die doch mehr wollen als nur darüber zu schimpfen und zu klagen. Hoffnung kann hier entstehen schon im ganz Kleinen, im Besuch von Einsamen und Alten, in der guten Nachbarschaft auch zu schwierigen Mitmenschen, im persönlichen Einsatz überall dort, wo andere sich verweigern oder die Mittel fehlen.
Und dieser Kreuzweg kann uns schließlich auch dort weiterführen, wo unsere menschlich bemessenen Erwartungen und Hoffnungen ans Ende gelangt sind. Die Begleitung unheilbar Kranker, das Aushalten von Trauer und Schmerz bei Hinterbliebenen, das Wahrnehmen und Akzeptieren eigenen Scheiterns. Und wohl erst der Kreuzweg macht uns bei
allem Schmerz dazu fähig, Wertvolles und Liebgewonnenes einmal zurück zu legen in die Hand Gottes.
Es ist der Weg der Nachfolge, der hier beschrieben ist. Diesen Weg sind schon viele vor uns gegangen, vor langer Zeit wie auch in unserem Jahrhundert: Wir singen die Lieder eines Jochen Klepper, sind beeindruckt vom Lebenszeugnis eines Dietrich Bonhoeffer oder eines Martin Luther King. Vergessen wir dabei jedoch nicht, welch schweren Gang zum Teil diese Menschen gegangen sind, und stellen auch wir uns nicht so schnell abseits ihres Weges.
Es ist eine große Gemeinschaft, die diesen Weg der Nachfolge geht. Jeder hat dabei sein eigenes Tempo, nicht jeder hält mit den anderen Schritt: Manch einer braucht Zeit, und verlangt Geduld von uns. Ein anderer hat vielleicht so viel Schwung, dass es anstrengend wird, mit ihm zu gehen. Streckenweise finden wir uns allein auf dem Weg, an anderen Stellen genießen wir herzliches Miteinander und wärmende Nähe.
Der Weg der Nachfolge kann so verschieden sein – aber eines ist allen gemein: Wir gehen diesen Weg nicht blind, es ist keine verzweifelte Hoffnung, die uns nach vorne blicken lässt. Unsere Nachfolge hat ein Ziel, weil da einer ist, der uns voranging. Der am Ende auf uns wartet, auch auf die letzten und langsamsten, auf die, die immer zögerlich drei Schritte vor- und zwei zurückgehen, auf die, die vom Weg abkamen und viele Umwege durchlaufen haben.
Die christliche Gemeinschaft auf dem Weg der Nachfolge – irgendwie schon ein bunter und merkwürdiger Haufen, der da unterwegs ist. Das dachten schon zu Zeiten des Paulus viele Menschen, und auch wir Christen verlernen bis heute ja keineswegs das Staunen über unsere Kirche. Aber das Wichtigste ist: Wir bleiben Lernende. Wir sind nicht fertig mit der Welt und den Mitmenschen. Wir trauen Gottes Wegen mehr als unseren Plänen, und wir erkennen in ihm ein Ziel, das all die Kraft und Hingabe wohl wert ist: Der Geduld, der Hoffnung, der Liebe.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.