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Herzenssache

Was lässt das Herz aufgehen – Engelszungen oder geteilte Freude? Auch wenn Engel bei uns schon seit längerem ein unerwartetes Comeback feiern als Dekorationsobjekt, Grabschmuck oder zurzeit wieder als adventliche Schokoladenfigur – meist lösen sie doch eher Irritation als Freude aus. Fürchte dich nicht: Wer so eine Rede beginnt, wird schon seine Gründe haben!

Der Engel Gabriel, zu übersetzen mit „Kraft Gottes“, auch er hat kein leichtes Amt im Lukasevangelium: Erschrocken reagiert Zacharias, immerhin ein Priester und somit ein „Mann vom Fach“ auf die Begegnung mit ihm, erschrocken und ungläubig. Erschrocken reagiert auch Maria, als der Engel ihr die Geburt Jesu ankündigt, erschrocken und ein wenig einsilbig: „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast“ – begeisterte Erwartung, Vorfreude klingen anders.

Josef wird hier nur am Rande erwähnt als Verlobter Marias, ohne aktiven Part, und auch Elisabeth, die Frau des Zacharias wird zwar schwanger, bleibt aber erstmal im Verborgenen. Beide Frauen sind miteinander verwandt, doch nun auch verbunden durch nichts Geringeres als ein göttliches Wunder, das unerhört ist und auch damals ganz sicher nicht gesellschaftsfähig war. Dort die Betagte, bislang Unfruchtbare, dort die Unverheiratete, beide im doppelten Sinne nicht „im Stande“, schwanger zu werden – und doch sind sie es.

Schrecken, Furcht, Zweifel und Scham – all das und mehr noch bedeuteten diese Umstände, sie „glücklich“ zu nennen wäre verfrüht: Der Engel Gabriel weiß darum, und darum erwähnt er auch gegenüber Maria, was mit ihrer Cousine Elisabeth geschehen war. „Warum ich? Was werden die Leute sagen? Was kommt da auf mich zu?“ Mit solchen Fragen ist niemand gern allein, auch Engel können da kaum helfen. Maria und Elisabeth, sie brauchen einander, jetzt ganz besonders!

Maria macht sich auf den Weg, sie ist noch jung und am Beginn ihrer Schwangerschaft. Was hofft Sie bei Elisabeth zu finden? Den guten Rat einer Älteren? Jemanden, mit dem sie Furcht und Sorgen teilen kann? Wo sie eine Weile unterkommt, bis die Dinge sich klären? 3 Monate sind eine lange Zeit, darum bin ich mir sicher, dass auch dafür Zeit und Gelegenheit war. Doch bei ihrer ersten Begegnung hier scheint all das wie weggeblasen:

Auf dem Altar der Johanniskirche ist diese Szene wunderbar dargestellt, wenn Sie davorstehen, sehen sie es rechts oben: Ein wahrhaft freudig bewegtes Treffen, das sieht man da schon an den wehenden Tüchern bei Elisabeth. Als sie den Gruß Marias hörte, so lesen wir, hüpfte das Kind in ihrem Leibe und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: „Gesegnet bis du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!“ Grenzenlose Begeisterung und Freude überstrahlt hier alle Schatten, alle Unsicherheit. Was für ein Willkommensgruß!

Da ist nicht mehr die unscheinbare Maria – schwanger, obwohl sie doch von keinem Manne weiß; des Herrn Magd, aber womöglich bald das schwarze Schaf der Familie. Das erwartete Kind ist hier kein Sorgenkind, sondern mit ihm beginnt etwas wunderbares Neues.

Beide sind sie in all ihrer Schwachheit und Zerbrechlichkeit erkannt und benannt als Gesegnete, Botschafter Gottes, wie kein Engel es je zuvor gewesen ist, als lebendige Hoffnung für Elisabeth, für das Volk Israel, für die ganze Welt – „joy to the world“, wie es in einem englischen Weihnachtslied heißt.

Ich kann nur ahnen, welch ein großer Stein Maria da vom Herzen fiel: Ihr Besuch, der einer Flucht gleichkam, wird unversehens zum Fest des Glaubens und froher Gewissheit. Sie, die eben nur wenige Worte für den Engel Gabriel übrighatte, ihr gehen jetzt Herz und Mund auf zu einem großartig-kühnen Lobgesang:

Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist
und dessen Name heilig.

Ein großer Lobgesang, zugleich ein klares, ungeschminktes Bekenntnis, das mit beiden Beinen fest auf der Erde steht – wir haben es vorhin als Lesung gehört: Es kennt Hohes wie Niedriges, Barmherzigkeit wie Gewalt, Verstoßung und Annahme, Gottesferne und Gottesnähe.

Die Umkehrung aller Machtverhältnisse begegnet uns an vielen Stellen des Lukasevangeliums. Auch damit verbindet sich manchmal eine heimliche Freude: Endlich zeigt’s mal jemand „denen da oben“! Eigene Unzulänglichkeiten, ungewaschene Meinungen, Wissensdefizite vielleicht – all das macht nichts, all den Besserwissern an den Schalthebeln der Macht werden hier die Leviten gelesen, und bald sitze ich, der kleine Mann (oder die kleine Frau) lachend obenauf!

Das ist kein schönes Lachen. Es macht höchstens schadenfroh und diese Welt kein bisschen besser. Keine lebendige Hoffnung wächst, kein heiliger Geist weht da, sondern nur der Ungeist der Verstocktheit und des Beherrschenwollens dessen, was längst schon entglitten, zerstört und verloren ist. Gerade zu Weihnachten lassen sich solche Anwandlungen nicht immer vermeiden:

Früher war mehr Lametta, heißt es scherzhaft – doch die Narben in der Seele bei zerstrittenen Familien, Enttäuschungen und unerfüllte Hoffnungen, sie schmerzen tatsächlich und können an diesen frohgestimmten Tagen schier unerträglich werden.

Die Alten kommen nicht hinterher bei all den Veränderungen und Umbrüchen in der Welt. Die Jungen sehen sich ihrer Zu-kunft beraubt, wo niemand für sie und eine lebenswerte Zukunft einsteht. Und zu allem Überfluss trüben nun auch noch Wahlkampfpolemik und blinde Vergeltungssucht nach dem Terrorakt in Magdeburg das letzte bisschen Weihnachtsfrieden.

Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen und große Dinge an ihr getan: Er hat sie aus dem Schatten ins Licht gebracht, und aus der Bedeutungslosigkeit zur Seligkeit erhoben. Sieht Gott auch die Niedrigkeit der heutigen Menschen an? Ihre Abgestumpftheit und Rohheit? Ihr Leugnen von Ungerechtigkeit, Ungleichbehandlung und Armutsrisiken? Ihre Ratlosigkeit und Ohnmacht?

Von Niedrigkeit zu Hochmut, von Gottes Großmut zum menschlichen Größenwahn – das sind leider allzu typische Fallen, in die wir immer wieder laufen. Wir sollten uns nicht für größer halten, als wir sind, als wir schon immer waren: Zwar guten Willens, aber machtlos. Zu klein für das Problem des Weltfriedens, und zu eigenmächtig für den Frieden in uns selbst.

Maria wurde schon früh verehrt, bis heute beten vor allem unsere katholischen Glaubensgeschwister das „Ave Maria“. Es knüpft an die Worte Elisabeths an, und fährt fort mit der Bitte um Fürsprache bei Gott, wenn es heißt: Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.

Das Leben meldet sich zu Wort bei Maria, unsere oft bis zur Unkenntlichkeit verborgene Gotteskindschaft nimmt leibhaftig Gestalt an bei ihr. Sie leiht uns die Stimme, wo wir erschrecken, ungläubig reagieren oder uns die Worte fehlen. Gott hat Großes an ihr getan – und es gibt nichts Größeres, was wir für uns hoffen können:

Wenn es uns mit Gottes Hilfe gelingt, neben all unseren Ängsten und Unsicherheiten auch dem Wunder Raum zu geben, um über unsere Grenzen hinauszufinden, unser Denken und Handeln neu bestimmen zu lassen von Glaubenshoffnung und mitfühlender Liebe.

Die lateinische Bezeichnung für den 4. Adventssonntag lautet „Rorate“ und zitiert damit in den letzten Tagen vor Heiligabend den Propheten Jesaja 45,8, wo es heißt: „Tauet, ihr Himmel, von oben, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf!“

Wir können sie nachlesen und nachsprechen, diese Worte, in denen so viel Schönheit, Aufbruch und Leben steckt – doch um sie nachzuempfinden bei all dem, was uns im Kopf noch umhergeht an Gedanken und Fragen, da hilft wie bei Maria nicht zuletzt befreiendes Singen. Darum wollen auch wir das jetzt tun mit Lied Nr. 18 im blauen Ergänzungsheft.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.