Grund & Boden

Wo begegnet uns Gottes Herrlichkeit? Um Menschen in ihrer Zeit etwas verständlich zu machen, ist es immer hilfreich, an vertraute Vorstellungen anzuknüpfen. So wird Gott im Alten Testament oft veranschaulicht an Beispielen aus der Natur, mit
ihrem verlässlichen Rhythmus wie auch mit der ihr innewohnen Kraft und Gewalt, der sich niemand widersetzen kann. Früh begegnen auch Herrschaftsbilder: Gott als der Kriegsherr, der Fürst, der König.

Die Begegnung mit Gott vollzieht sich an einem besonderen Ort, auf heiligem Boden wie schon bei Moses mit dem brennenden Dornbusch, vor allem aber in besonderen Räumen. Kein Wunder also, wenn Tempel und Paläste vieles gemeinsam haben: Sie sind nicht einfach nur groß, wie es auch ein Konzertsaal oder eine Turnhalle sein können, nein, sie haben auch eine deutliche Mitte, stehen für eine bestimmte Botschaft und einen Machtanspruch. Sie sind reich an Symbolen, bieten Raum für Zeremonien.

Unser Predigttext aus dem Hebräerbrief greift diese Elemente auf, er vermischt sie, wenn er vom himmlischen Thron, vom Heiligtum, von Majestät und Hohepriestern spricht. Man vermutet, dass der unbekannte Verfasser sich an Christen jüdischer Herkunft richtet, die nun in zweiter oder dritter Generation an der Schwelle zur Kirchenbildung mit ihren Ämtern und Institutionen stehen, die also deren Geburtswehen erleben, aber auch weiterhin noch von Anfeindungen und Verfolgung bedroht sind.

Diese Menschen kennen durchaus noch die alten Ordnungen, die Funktion von Priestern, den Brauch des Opferns. Nun aber, so schreibt jener Verfasser, nun aber ist es anders: Jesus ist für uns beides, höchster Priester und Gott gleich, aber auch Diener und Mittler eines neuen Bundes, gegründet auf „bessere Verheißungen“. In ihm tritt uns Gott selbst unmittelbar gegenüber. In ihm ist Gott Mensch geworden. In ihm vollzieht sich jene eigenartige Verwandlung vom Herrn und König zum Diener und Knecht, deren Vollendung im Mittelpunkt unserer Kirchen, im Gekreuzigten und Auferstandenen sichtbar wird.

Wo begegnet uns Gottes Herrlichkeit? Wenn Sie mal in einer gotischen Kathedrale stehen, lässt die Architektur sie sicher nicht unberührt: Die schlanken Pfeiler, das hohe Gewölbe und die Fenster schaffen eine geradezu himmlische Atmosphäre, so leicht, so licht und so erhaben ist da alles. Und kommen sie in einen barocken Kirchenbau z.B. in Süddeutschland, da blenden Gold und Schmuck und unzählige kunstvolle Details in einer Fülle, die sich kaum überschauen lässt.

Daneben gibt es die kleinen, aber mit viel Liebe ausgestalteten Dorfkirchen, ebenso wie die neuzeitlichen Bauten mit teils zweifelhafter Ästhetik. „St. Beton“, oder noch abfälliger „Gebets-Abschussrampe“ wurde so eine Kirche aus den 70er Jahren in meiner Marburger Heimat verunglimpft. Nach meinen Recherchen kann die Straßberger Kirche dagegen mit gutem Recht als „altehrwürdig“ bezeichnet werden, und dürfte schon bald runde 444 Jahre Kirchweih feiern!

Doch bleiben wir im hier und heute: Brauchen wir heute denn wirklich noch eine Kirche, um Gott zu begegnen? Seit der Romantik ist der vielzitierte Waldspaziergang zu einer obendrein gesundheitsfördernden Alternative in Mode gekommen. Wäre ein gutes Buch oder ein Theaterbesuch nicht viel erbaulicher, als sich Sonntagvormittag in alten Mauern zu versammeln und alte Lieder zu singen?

Und dass ein Pfarrer dort gut predigt ist ja leider auch nicht immer zu erwarten: Wie die Diskussionen um unseren ehm. Landesbischof zeigten, haben manche Menschen schon sehr genaue Vorstellungen und Erwartungen an das, was auf der Kanzel (und übrigens auch darunter) gesprochen wird. Empörte Klagen, Verurteilungen von links wie rechts und Austrittsdrohungen sind schnell zur Hand, wenn die Kirche nicht so richtig als „meine Kirche“ wahrgenommen wird.

Meine Kirche, meine Familie, meine Freunde, mein Land: Es ist gut und wichtig, Teil einer Gemeinschaft zu sein, sich zugehörig fühlen zu dürfen. Das bietet Sicherheit und Geborgenheit, formt die eigene Identität und verhilft zu einer räumlichen wie geistigen Beheimatung. Wenn das „meine“ aber zur Besitzstandsanzeige wird, sich zum Anspruchsdenken verkehrt, dann wird es schwierig. Dann wird die Welt plötzlich sehr klein, die Klugheit mäßig, und die Phantasie verliert an Farbe.

Aber es bleibt natürlich verlockend: Ich höre nur noch Musik, die ich schon kenne und mag, rede nur mit Leuten, die so denken wie ich, umgebe mich mit Wohlvertrautem und muss nie aus meinem Schneckenhaus, mich nie mehr von Ungewohntem anfragen und irritieren lassen. „My home is my castle“, und auf dem Thron sitzt – na, wer wohl? Ja, es klingt verlockend und ist in unserer modernen Wohlstandsgesellschaft auch ohne Weiteres machbar, sich so im Leben einzurichten, nur nach den eigenen Regeln zu leben und damit auch noch für lange Zeit durchzukommen.

Wo begegnet Gottes Herrlichkeit? Es sagt sich so leicht, dass wir dafür keine bestimmten Formen brauchen, keine Räume, keine Liturgie, keine festen Strukturen. Und es stimmt, Gott ist darauf wohl kaum angewiesen! Doch wenn ich so an mich selber denke: Die guten Vorsätze, an deren Umsetzung ich Jahr für Jahr zuverlässig scheitere. Die Dinge, die mir wirklich wichtig sind, und die regelmäßig zu kurz kommen aufgrund vermeintlicher Dringlichkeiten und allerlei Ablenkungen. Der Mensch, der ich werden wollte, der ich sein möchte, und der doch immer in alte Rollen und Handlungsmuster zurückfällt. Wohin treibt es mich?

Nein, liebe Gemeinde, wir haben es nicht in der Hand, und wir können es auch nicht zwingen – unser eigenes Leben nicht, nicht unsere höheren Ziele und schon gar nicht die sog. „letzten Dinge“. So sehr wir uns auch mühen, unser Beitrag bei alldem ist mehr als bescheiden. Diese Einsicht, wie auch Freude und Dankbarkeit, Furcht und der Respekt, die damit einhergehen, sie führen auch heute noch viele Menschen mehr oder weniger oft zur Kirche:

Wenn wir Taufe feiern oder Hochzeiten. Wenn wir Abschied nehmen von Nahestehenden, um sie hineinzunehmen in unsere Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben. Dann schweigen unsere Allmachtsphantasien, unser Hochmut, unser zielloses höher, schneller, weiter. Dann kommen wir wieder zur Besinnung und leben von jenem tiefen Vertrauen, dass Gott uns im Blick hat.

So ein Vertrauen wächst langsam. Es braucht Pflege, es braucht Nahrung, es braucht Licht und gedeiht nicht in einer dumpfen, abgeschiedenen (Echo-)Kammer. Kirchen, ob groß oder klein, spartanisch oder prächtig bieten einen Raum, wo solches Vertrauen wachsen kann: Wo die Mauern getränkt sind mit Gebeten und Liedern so vieler Menschen vor uns und neben uns. Wo wir aufhören, um uns selber zu kreisen. Wo wir Ruhe finden, Zweifel und Hoffnungen teilen, wo uns Vergebung für alle Schuld und Vergeblichkeit und neues Leben zugesagt wird.

Die Begegnung mit Gott vollzieht sich an einem besonderen Ort, holt uns heraus aus aller Selbstverständlichkeit, durchbricht unseren Rhythmus, weckt unsere Sinne für eine Herrlichkeit, wie wir sie uns nicht erdenken und erträumen können. Und dabei ist es mehr als ein Gefühl der Erhabenheit, ein Erschauern vor unbegreiflicher Macht und Größe: Denn Gott bleibt nicht ferne, thront nicht entrückt im Himmel, sondern kommt uns entgegen, die wir einen Weg aus der Tiefe suchen und uns nach dem offenen Himmel sehnen.

Wo wir noch zaudernd an der Schwelle stehen, ist Gott schon auf dem Weg zu uns. Er weiß, was uns befangen macht, was uns falsche Wege suchen und brüchige Tempel bauen lässt. Gott weiß, wer wir sind und wie wir sind, und macht sich darum so klein, dass wir mit unseren Worten von ihm reden können und er Raum findet auch in den Mauern einer Kirche und in der Enge unserer Herzen. Gott kommt zu uns im Wort und Sakrament, und die Tür zu seiner Herrlichkeit steht allen offen.

Das ist nun die Hauptsache bei dem, wovon wir reden: Wir haben einen solchen Hohenpriester, der sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel und ist ein Diener am Heiligtum und am wahrhaftigen Zelt, das der Herr aufgerichtet hat und nicht ein Mensch.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.