Die Erinnerung ist manchmal gnädig: Man schaut glücklich die Fotos vom letzten Urlaub an – und vergisst den Stau bei der Anreise oder die Hektik am Flughafen. Bei der Silberhochzeit steht das lange Eheglück im Vordergrund – gelegentliche Krisen werden da ausgeblendet. Unser Predigttext ist auch so ein Glücksmoment, wo alles stimmig, ja wunderbar scheint:
Mose bringt seinem Volk die Gesetze Gottes, sein Angesicht glänzt, Ehrfurcht, doch dann auch Vertrauen wird ihm entgegengebracht. Ein großer Augenblick, man sieht es vor sich: Eine eindrückliche Szene, ja geradezu ein historischer Höhepunkt, der es verdient, festgehalten zu werden! Denn wenige Zeilen zuvor spricht Gott auch von dem ewigen Bund, den er mit den Israeliten eingeht.
Blickt man allerdings etwas weiter zurück, dann wird es hässlich: Schon einmal war Mose auf den Berg Sinai hinaufgestiegen und hatte steinerne Tafeln mit 10 Geboten erhalten, aufge-schrieben, so lesen wir, mit dem Finger Gottes! Als er damals zu seinen Leuten zurückkehrte, war es jedoch nicht sein Gesicht, das da glänzte, sondern ein goldenes Kalb: Den Israeliten war das Warten lang geworden, und sie hatten sich einen Götzen zum Anbeten geschaffen.
Ein Heiliger war auch Mose nicht, und Geduld keine seiner Stärken: Er tobte, schimpfte und zerschmiss vor Wut die Gesetzestafeln. Es war schon immer eine schwierige Beziehung, die Mose zu seinem Volk hatte, aber das sollte Gott nicht abhalten von seinem Plan. Also noch einmal: Hoch auf den Berg, zweiter Versuch – und diesmal geht es gut!
Manchmal braucht es die Erfahrung des Scheiterns, um das Gelingen erst richtig würdigen zu können. Auch Mose scheint ein anderer – er strahlt. Was hatte er erwartet? Immerhin hatte er Gott um Gnade gebeten für sein Volk, das „halsstarrige“ Volk, wie er es nennt. Er hatte Gott gebeten, in der Mitte zu gehen, spürbar zu sein, damit das Volk nicht immer nur auf seinen allzumenschlichen Diener Mose schauen muss.
Gottes Widerschein in Mose Angesicht machte klar: Hier spricht keiner aus sich heraus, hier gab es eine Begegnung, die außergewöhnlich war. Egal, welche dunkle Vergangenheit Mose auch haben mochte, wie zweifelhaft es um seine Weisheit und sein Temperament auch bestellt sein mochte – mit ihm, in seinen Worten und den Gesetzestafeln offenbart sich mehr. Da spricht unverkennbar ein Mensch, der doch zugleich Zeugnis gibt von Höherem.
Mose ist sich dessen gar nicht bewusst, er wundert sich nur, bis ihn jemand aufklärt. Jene „glänzende Haut“ ist ein Mysterium, das auch den Maler Marc Chagall inspirierte. Wenn sie mal in Mainz sind, besuchen sie da den Stephansdom und suchen sie in den ausgemalten Chorfenstern nach dieser Szene: Es ist leicht zu finden, so strahlend weiß leuchtet das Gesicht – und weil Maler gerne ein wenig ausschmücken, trägt Mose obendrein eine Krone.
Von Gott gesandt, erleuchtet und gekrönt – und doch nur ein einfacher, fehlbarer Mensch. Ich mag dieses Spiel mit den Kontrasten, das uns gerade in den Schriften des Alten Testaments so eindrücklich begegnet. Marc Chagall hat darum viele weitere Motive aus der Tora, den fünf Büchern Mose, der heiligen Schrift seines jüdischen Volkes entnommen, darunter auch den „brennenden Dornbusch“: Auch in jener Berufungsgeschichte glänzt das Gesicht des Mose überhell und spiegelt so wider, wie Gott sich ihm zeigt.
Was zeigen unsere Gesichter? Wenn ich mich umsehe, hier und auch sonst in Plauen und anderen Orten, wo ich hinkomme, dann ist es mit der Strahlkraft nicht so weit her. Meist drücken die Gesichter von Menschen aus, was sie gerade bewegt: Da sieht man Heiterkeit oder Kummer, Nachdenklichkeit oder Ärger, Zufriedenheit oder Gleichmut.
Solche Züge sind immer auch ein Spiegel der Seele – und das hilft uns, wenn wir einen wachen Blick haben, auch den passenden Umgangston zu finden: Nicht noch mehr zu reizen, nicht unnötig mit Nebensächlichem zu belasten, nicht die freudige Stimmung zu verderben.
Es ist vielleicht ein stückweit auch unsere deutsche Mentalität, nicht als ewiger Strahlemann oder -frau durchs Leben zu gehen. Jenes Ideal des „positiven Denkens“ scheint auch mir ein eher fauler Zauber, der an den Untiefen der Lebensrealität vorbeisieht.
Solch Überschwang verbietet sich auch angesichts der Erinnerungen dieser Tage an den 27.1., dem Gedenktag der NS-Opfer: Da war ein Weinen in der Welt, ein nicht zu stillender Schmerz, eine große, tiefe Dunkelheit, angesichts der wir nur verstummen und Abbitte tun können.
Unser Heil liegt nicht im Vergessen. Unsere Hoffnung ruht allein auf Gott, der gram ist unseren falschen Götzen. Er ist das Licht, das uns den richtigen Weg weist. Als gestern die Prädikanten des Kirchenbezirks zu einem „virtuellen Treffen“ zusammenkamen, klagten einige über Angriffe und bittere Vorwürfe, die ihnen an der Kirchentür entgegenschlagen:
Ausgerechnet mit Verweis auf die Jahreslosung akzeptieren manche Besucher nicht die Vorgaben zum Infektionsschutz. Ähnliche Misstöne waren vor 7 Jahren zu hören, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Nun ist es richtig und wichtig, ein Recht auf eigene Vorstellungen zu haben – jedoch das Evangelium zu beanspruchen und das Gesetz zu verachten, das ist eine Anmaßung, die schon zu oft in der Geschichte Unheil nach sich zog!
Die Geschichte des jüdischen Volkes, die Geschichte des Christentums, unsere eigene Biographie: Glanzstücke sind darin nur vereinzelt zu finden, klar, rein und ungetrübt das wenigste. Schuld und Scham bremsen unsere Euphorie, wir spüren unsere Grenzen nur zu gut. Befreit an den Tisch des Herrn treten wir darum erst nach Beichte und Vergebungszuspruch: Denn das Wort, das uns rettet, können wir uns nicht selber sagen – es kommt von Gott oder gar nicht.
Das Volk Israel fürchtete sich, als Mose so strahlend zu ihnen kam. Er war ihnen fremd, und solch ein verklärter Zustand war ihnen fremd, ja scheinbar kaum erträglich: Darum deckte Mose sein Gesicht ab, wenn er zu ihnen sprach. Die Erfahrung des Glaubens kommt einem Höhenflug gleich, doch seine Bewährung vollzieht sich in den Widersprüchen des Alltags!
Wir gehen von Weihnachten und Epiphanias in eine neue Zeit. Das leuchtende Weiß wird abgelöst von vielfältigen Farben, und wir scheuen auch nicht die Schwärze des Karfreitags.
So wie Gott das Volk Israel durch die Wüste geführt hat in das gelobte Land, so dürfen wir unserem Herrn Jesus Christus folgen auf dem Weg, den er für uns bereitet hat. Er hat das Leben von uns fehlbaren Menschen geteilt, weiß um unsere fatalen Neigungen und hat all das auf sich genommen, damit unser Bund mit Gott trotz allem bestehen bleibt – damit auch wir bewahrt und nicht in der Dunkelheit bleiben.
Solche Hoffnung ist mehr als nur ein Lichtblick in düsteren Tagen: Sie gibt Raum auch für Dankbarkeit und Freude, für Lebensmut und Zuversicht bei allem Schrecken, der uns überkommt, bei allem Elend, das sich durch die Menschheitsgeschichte zieht. Solche Hoffnung richtet uns auf, lässt uns aufblicken zu Gott, von dem unsere Hilfe kommt. Auf andere wirkt das manchmal fremd – kein Wunder!
Aber vielleicht spiegeln auch unsere Gesichter in der Begegnung mit anderen etwas wider von jener Hoffnung, jener Zuversicht und jenem Licht, dass uns leuchtet seit jener Nacht in Bethlehem bis heute, morgen und für alle Zeit.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.