„Bruder Sonne, Schwester Mond“: So lautet der Titel eines Films vom italienischen Regisseur Franco Zeffirelli. Darin geht es um das Leben von Franz v. Assisi, jenes berühmten Heiligen aus dem 12. Jahrhundert. Der heilige Franziskus zeichnete sich u.a. aus durch ein besonders inniges Verhältnis zur Schöpfung:
Sonne, Mond und Sterne, das waren für ihn nicht einfach Punkte am Himmel. Auch Wind, Feuer und Wasser beschreibt er in seinem „Sonnengesang“ als nahestehende Verwandte, als Brüder und Schwestern eben. Die ganze Schöpfung ist für ihn eine große in Gott verbundene Familie: Ein schönes Bild, wie ich finde. Es macht manche Zusammenhänge besser greifbar, als lange Erklärungen es könnten.
Den Film fand ich auch wunderschön, als ich ihn als Student zum ersten Mal sah. Berührt hat mich v.a. die Szene, wo Franziskus nach seinem Wandel vom Wohlstandskind zum Bettelmönch einen König vorbeireiten sieht und ihm voller Glaubenseifer die Worte eben unseres Predigttextes entgegenruft: Der König solle seine Krone in den Schmutz werfen und seinen Herrschermantel abstreifen, denn „schaut die Lilien auf dem Felde“: Wie unbeschwert-frei, und wie herrlich sie in der Gnade Gottes leben, wachsen und blühen!
Franziskus klagt den König dabei keineswegs an, er war auch kein „Gesellschaftskritiker“ im heutigen Sinne. In der Filmszene läuft er neben dem König her, fleht ihn geradezu an, gerät ganz außer Atem: Er will unbedingt, dass auch der auf dem hohen Ross hört, was Jesus in der Bergpredigt sagte und womit er alle Menschen zu allen Zeiten angesprochen hat.
Franziskus war ergriffen von einer neuen Wirklichkeit, von einem neuen Verständnis, von einer tief empfundenen Verbundenheit zu Gott und allen Menschen. Könige und Aussätzige, Reiche und Arme, Alte und Junge: Keiner besser oder schlechter als der andere. Alle sind sie Gottes Kinder. Alle werden dadurch wie die ganze Schöpfung zu seinen Angehörigen.
Gedreht in den frühen 70ern, ist der Film historisch allerdings recht ungenau. Er spiegelt sehr deutlich auch den Geist jener Zeit wider, wenn Franziskus romantisch-verklärend geschildert wird als eine Art früher „Aussteiger“. Manche Kritiker bewerteten den Film darum auch als „frommen Kitsch“, und es ist bekannt, dass Franziskus keineswegs zeitlebens als wunderbar Erlöster mit selig glänzenden Augen durch eine ungetrübte, heile Welt lief.
Auch er wurde mehrfach mit der harten Realität konfrontiert. Die Natur kann unerbittlich sein. Menschen verhalten sich mitunter alles andere als geschwisterlich. Der Zauber, der in den Worten des Sonnengesangs spürbar wird, er wirkt eben auch durch seinen Kontrast zu dem, wie uns die Welt sonst so begegnet und wie wir uns zu ihr stellen.
Die Freude an der Schöpfung – zu Erntedank wollen wir ihr Ausdruck geben, wenigstens einmal im Jahr wollen wir Gottes großen Wundern auch im Kleinen und Alltäglichen unsere Aufmerksamkeit schenken.
Bei „Erntedank“ schwingt auch immer eine gewisse Romantik mit. Bilder erscheinen vor dem geistigen Auge: Der vorausschauende Sämann auf dem Feld, die sonnengebräunten Erntehelfer auf den Plantagen. Wir wissen natürlich, dass heute vieles in unserer modernen Welt von Maschinen erledigt wird. Und wir wissen hoffentlich auch, dass in anderen Ländern noch vieles von Menschenhand geerntet wird, mit großer Mühe bei kleinem Lohn.
Hochtechnisiert das eine, ungerecht bis unmenschlich das andere. „Kommt aber her von Gott“: Der Refrain des Erntedanklieds, das wir auch nachher wieder singen werden, drückt alles andere als eine Selbstverständlichkeit aus. Beinahe trotzig klingt es, angesichts der Warenströme aus Fabriken und Großhandelsketten. „Kommt aber her von Gott“ – auch das ist ein Bekenntnis wider das Augenscheinliche, als normal Empfundene.
Viele finden sich ab mit der Vorstellung einer von gewohnten Mechanismen beherrschten Welt – und wundern sich, dass vieles so unpersönlich geworden ist. Viele haben es verinnerlichert, dass alles auf der Welt seinen Preis hat – und wundern sich über das allgegenwärtige Diktat von Produktionskosten und Nachfrage. Viele setzen darauf, dass Recht und Gesetz die Welt zu einem besseren Ort machen – und wundern sich über harte Herzen und kalte Blicke.
Erntedank, so wie wir Christen es verstehen, ist kein romantisches Fest der schönen Natur. Wir setzen uns keine rosarote Brille auf und erklären alles für schick und fein, indem wir den Blick abwenden von all dem Leid und Grauen, der Zerstörung und der Ungerechtigkeit in der Welt, wie wir sie auch in diesen Tagen erleben. Das können wir schon deswegen nicht, weil wir selbst als Opfer wie als Täter zu eben dieser Welt gehören. Wir sind genauso ihre Kinder.
Kinder Gottes und Kinder dieser Welt – wir Erwachsene vergessen oft, dass wir in dieser Doppelrolle leben. Die Jüngeren auch hier in der Gemeinde, in diesem Gottesdienst, sie haben es da besser, sind näher dran, haben noch einen unmittelbaren Bezug dazu was es bedeutet, Kind oder Heranwachsender zu sein. Da gibt es große Freiheiten – Spielen, Zeit haben, Ausprobieren und Lernen – und große Verantwortungen, wie die Beachtung von Regeln im Miteinander und zum richtigen Weg ins Leben.
Jesus gibt uns in der Bergpredigt solche Regeln mit, und sie sind im Grunde gar nicht so kompliziert: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit – so wird euch alles andere zufallen. Nicht von alleine, nicht von selbst, man muss sich schon rühren!
Aber man darf sich nicht in die Abhängigkeit begeben, sich nicht beherrschen lassen von vermeintlich schönen Dingen, Geld, Status, Gütern. Das ist Beiwerk, das kommt im besten Fall obenauf. Aber es bewahrt uns vor gar nichts, es kann uns nur kurz trösten. Halt im Leben gibt es uns etwas anderes: Das wissen wir längst, haben es viele Male schon gehört, und müssen es uns doch immer wieder neu bewusst machen.
Würden wir die schönen Erntegaben einen Monat hier liegen lassen, wie sähe es dann hier vorne aus? Wie wäre die Luft hier vorne? Heute dürfen und sollen wir uns daran freuen, den Reichtum von Frische und Wohlgeschmack genießen und andere daran teilhaben lassen, auch das hat seine Zeit und Berechtigung, und ist ganz nebenbei noch mit einem Lerneffekt verbunden: Ich erwähnte bei der Begrüßung ja, dass für uns nüchterne Protestanten Erntedank ein ungewohnt „irdisch-sinnliches“ Fest ist:
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes – das setzt die Priorität, das macht die Rangordnung deutlich. Aber es bedeutet bitte kein „entweder – oder“: Dietrich Bonhoeffer schrieb einmal, es sei Sünde, in den Armen einer schönen Frau zu liegen und dabei an das himmlische Jerusalem zu denken. Und ich gestehe freimütig, dass an dem Franziskus-Film das Allerschönste für mich war, dass ich ihn mir damals zusammen mit einer jungen Studentin ansah, die heute übrigens meine Frau ist.
Diese Welt mit allem, was sie hervorbringt und mit Leben erfüllt, ist uns geschenkt von Gott. Wir dürfen Gebrauch von ihr machen, uns ihr in Respekt, Liebe und Fürsorge zuwenden – wie es sich in einer guten Familie gehört. Denn diese Welt, so fehlerhaft und unvollkommen sie ist, ist ein Geschöpf Gottes wie wir, wie wir mit unseren Fehlern und Unzulänglichkeiten.
Gott hat sie und uns erschaffen, hat sie und uns unter seinen Schutz gestellt und berufen zu einer gemeinsamen großen Hoffnung. Sein Ebenbild mögen wir und diese Welt bei kritischer Betrachtung nicht sein – aber er führt uns auf seinem guten Weg, sein Reich erwartet uns.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.