Geschenke macht man für gewöhnlich zu Geburtstagen, zu Weihnachten oder auch, wenn man zu Besuch kommt. Meine Großeltern hatten die Angewohnheit, mir in Kindheitstagen auch zum Abschied kleine Geschenke zu machen: Wenn ich nach den Ferien bei ihnen mit der Bahn wieder heimfuhr, gaben sie mir immer noch ein paar Süßigkeiten und ein Buch mit.
Meine Großeltern hatten es nicht so mit großen Worten, darum drückten sie ihre Gefühle auf diese Weise aus: „Schön, dass du da warst! Wir denken an dich! Komm gerne wieder!“ Meine Dankbarkeit war natürlich groß, und der Abschiedsschmerz gleich etwas kleiner. Das Geschenk des Heiligen Geistes, das wir zu Pfingsten feiern, es steht ebenfalls für Abschied, Erinnerung, bleibende Verbundenheit und die Hoffnung auf ein Wiedersehen.
Unsere Vorstellung von Pfingsten ist dabei vor allem geprägt von der Schilderung in der Apostelgeschichte, wir haben es vorhin gehört: Die Jünger brennen im Geist, sind Feuer und Flamme. Sprachbarrieren sind mit einem Mal überwunden, jeder versteht plötzlich jeden, die Menschen lassen sich entweder mitreißen oder schütteln ablehnend den Kopf – so oder so: Gleichgültigkeit hat hier keinen Platz!
Paulus hat hier eine ganz eigene Perspektive. Der Heilige Geist bedeutet für ihn vor allem Halt und Kontinuität in den Wechselfällen des Lebens, auch des Glaubenslebens. Seine Worte sind eher nachdenklich, klingen bisweilen sogar düster, wenn von Verdammnis, Tod und Sünde die Rede ist. „Mal wieder!“, könnte man einwenden, und: „Typisch Kirche!“
Paulus war unzweifelhaft ein Grübler, das merkt man an seinen komplizierten Gedanken und Formulierungen. Vom angesehenen jüdischen Pharisäer war er zu einem christlichen Missionar geworden, der ständig unterwegs und ständig neuen Fragen und Konflikten ausgesetzt war – oft saß er „zwischen allen Stühlen“, wie man sagt. Oft wusste er nicht, ob er weiterhin seine Berufung leben konnte, oder ob die Menschen sich nicht von ihm abwenden würden.
Verdammnis ist ein sehr hartes Wort, noch viel mehr eine harte, bittere Erfahrung, die man ganz problemlos auch jenseits von Kanzel und Kirche machen kann: Wie oft geschieht es, dass Eltern sich von ihren Kindern abwenden, oder diese jede Verbindung kappen? Wie viele Freunde, Geschwister oder gar ehemalige Lebenspartner haben sich nichts mehr zu sagen? Oder wenn jahrelanger Einsatz auf Arbeit oder im Verein plötzlich nichts mehr zählt und man unversehens „draußen“ und vollständig von der Gemeinschaft ausgeschlossen ist?
Auch schwere Schicksale und schwere Krankheiten können wie eine Verdammnis sein: Wenn auch bescheidene Wünsche und Träume aufgegeben werden müssen, wenn die Grenzen des noch Machbaren irgendwann so eng werden, dass man nicht mehr ohne weiteres frei am normalen Leben teilhaben kann.
Paulus war das nur allzu bekannt. Stellt man seine Briefe nebeneinander, ergibt sich schnell das Bild von einem Mann, der wenig eindrucksvoll von Gestalt war, außerdem geplagt war von verschiedenen Gebrechen und erschöpft von ständiger Verfolgung, Gefangennahme und den nicht enden wollenden Gemeindekonflikten.
Doch, so schreibt er, so gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind: Für ihn und für alle, die sich verbunden wissen mit dem Sohn Gottes und seinen Worten, seinem Wirken bis hin zum Kreuz auf sich selbst bezogen sehen, ganz persönlich. Für die gibt es kein endgültiges Todesurteil, kein abschließendes „Das war’s“! Beeindruckend – aber wie gelingt so eine Verbundenheit, gerade dann, wenn einem alles zu viel wird und die Welt Kopf steht?
Goethe beschreibt den Teufel als einen „Geist, der stets verneint“. Auch von diesem Geist weiß die Bibel zu berichten: Hiobs Frau, die angesichts allen Unglücks ihren Mann drängt, doch endlich seinen Glauben aufzugeben. Die Kinder Israels, die angesichts der vielen Strapazen und Entbehrungen auf dem Weg ins gelobte Land aufgeben und wieder zurück in die ägyptische Knechtschaft wollen.
Von diesem Geist wissen sicher auch Sie zu berichten und kennen solche Momente im Leben, wo es nicht mehr weiterzugehen scheint – das ist gar nicht so selten, sondern eher ganz normal und natürlich, leider! Paulus nennt dies „das Gesetz der Sünde und des Todes“, das uns allen in den Knochen steckt:
Unsere vielen Erfahrungen, nicht zuletzt unsere eigene Endlichkeit predigen uns dies Gesetz in unschöner Regelmäßigkeit, dass wir es ja nicht vergessen. Wenn Paulus von diesem Gesetz spricht, ist er kein Moralapostel: Sünde und Tod beziehen sich weniger auf unsere kleinen Versäumnisse und Verfehlungen, sondern auf die Perspektive, mit der wir durchs Leben gehen. Ein Weg, der über manche Holzwege schließlich an den Gräbern endet, steht schon zu Lebzeiten unter einem langen, dunklen Schatten.
Der Heilige Geist, dessen Geschenk wir zu Pfingsten feiern, ist bei Paulus nicht etwas schwer Fassbares, Nebulöses – er ist eine Kraft, die unsere Grenzen überwindet: Die Grenzen des Körperlichen, die Grenzen unserer Vorstellungskraft und unserer Hoffnung. Es gibt natürlich auch die Kraft der Einbildung, auch sie ist nicht gering: Aber hier geht es um eine Kraft, die von Gott kommt und darum mehr vermag.
Die Kraft des Heiligen Geistes verführt nicht dazu, unsere vielen Schwächen und Unzulänglichkeiten zu leugnen, im Gegenteil: Sie erlaubt uns, all das anzusehen und anzunehmen und es Gott anzuvertrauen – schweigend oder im Gebet, für sich oder in der Gemeinschaft. Die Kraft des Heiligen Geistes hält uns in Verbindung mit Gott, hilft uns zu erinnern und hilft uns zu hoffen nicht haltlos ins Blaue hinein, sondern auf seine gewisse Zusage hin.
Ich glaube, das ist die schwierigste Übung für uns Menschen – für Christen und Zweifler gleichermaßen. Ich glaube, nur Gott kann uns hier aufhelfen und weiterhelfen, alles andere wäre vermessen und zum Scheitern verurteilt. Da ist nichts, was wir aus uns heraus dem Tod und unseren menschlichen Verstrickungen entgegensetzen können. Da ist nur Chaos.
Der Geist Gottes kennt sich damit aus. Gleich am Anfang der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte lesen wir davon, wie alles noch wüst und leer war: Doch der Geist Gottes ruhte auf dem Wasser, heißt es da, und wir wissen, wie es weiterging! Und auch am Ende, nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, ist er es, der Gottes Gegenwart spürbar werden lässt – bei schwachen, ratlosen Jüngern, bei einer Kirche, die von einer Krise in die nächste stolpert, bei mir, der manchmal um Worte ringt und manchmal viel zu lange predigt…
Der Geist Gottes hat seine eigenen Gesetze – sie stehen über dem Gesetz der Sünde und des Todes. Wie schreibt Paulus? „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht zum neuen Leben. So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.