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Wahrsager

Die Worte unseres Predigttextes sind starke Worte, im wahrsten Sinne. So kennt man die christliche Verkündigung kaum mehr, so scharfe, fast schon verletzende Töne ist man in der Kirche nicht mehr gewohnt. Heute, wo Pfarrer und Gemeinden sich bei schwindenden Mitgliederzahlen bemühen, Gottes Wort als Hilfe zum Leben deutlich werden zu lassen, heute liegt das Gewicht doch eher auf sanften Worten des Trostes, der Liebe, der Verheißung.

Machen wir da etwas falsch? Machen wir es uns und anderen zu leicht, wenn wir unser Vertrauen auf Gott so positiv darstellen? „Sie heilen den Schaden nur obenhin“, heißt es an anderer Stelle bei Jeremia, „sie sagen: Frieden, Frieden – und ist doch kein Frieden!“

In der Tat ist es verdächtig, wenn Gott immer mit einem Lächeln gezeichnet wird. Wenn Gott immer der gütige Vater ist, der alles verzeiht, vollautomatisch schon im Vorhinein, ist das ein zu glattes, allzu künstlich wirkendes Bild. Wie kann man so etwas erwarten, oder andersherum gefragt: Wie glaubwürdig ist das, für uns und andere? Manche Kritiker meinen, dass die Wahrnehmung Gottes in der Welt in dem Maße schwindet, wie auch seine Bedrohlichkeit abnimmt. Brauchen wir also wie im Mittelalter wieder respekteinflößende Höllenpredigten mit Heulen und Zähneklappern, um die Kirchen zu füllen?

Ich denke, dieser Versuchung sollte man widerstehen. Widerstehen sollte man auch der Versuchung, unserer vergnügungsorientierten „Spaßgesellschaft“ nun ein provokant-plattes „Schluss mit lustig“ entgegenzusetzen: Gottes Wort will nicht zum Werkzeug unserer Wünsche und Weltanschauungen missbraucht werden: Es lässt sich weder dahernehmen, um alles Hässliche schönzureden, und es ist viel zu groß, um als Stichwortgeber zu dienen für profilbewusste Bedenkenträger.

Ich denke, unsere Zeit wie auch wir selbst brauchen Worte des Trostes, der Liebe und der Verheißung, heute dringender denn je. Unser Problem sind nicht die leicht durchschaubaren Marktschreier, die uns allerlei Rezepte für Glück, Gesundheit und Wohlstand verkaufen wollen: Viel eher bedrücken uns doch die vielstimmigen Mahnungen und düsteren Prognosen aus Wirtschaft, Umwelt, ja und manchmal auch aus einer etwas nervös wirkenden Kirche.

„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist“, spricht der Herr, „und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ Das ist eine klare Absage an all jene die meinen, sich Gott und ihren Glauben einfach in die Tasche stecken zu können, wo er immer bequem zur Hand ist. Wie alles, auf das wir vertrauen, ist auch unser Glaube gefährdet, wenn er zur Selbstverständlichkeit wird:

Wenn wir unser Gespür verloren haben für die Kostbarkeit dessen, was uns geschenkt ist, und für das, was um uns herum passiert: In der Familie, im Betrieb, in der Gesellschaft. Wenn wir zu spät erkennen, dass unser Handeln gefragt ist, wenn wir versäumen uns auf Neues einzustellen, wenn wir nicht aufmerksam genug sind gegenüber unserem Nächsten – dann stehen wir plötzlich vor den Trümmern und wundern uns.

Wir hatten immer gedacht, dass in unserer Familie Harmonie und Einigkeit herrscht. Der Arbeitsplatz galt doch als sicher. Gewalt an Schulen konnte ich mir bei uns nie vorstellen: Der erhoffte oder erträumte Frieden, ihn gibt es weder umsonst, noch trägt er sich von allein. Er kann nur in einem Klima bestehen, wo Wahrheit und Gerechtigkeit gelebte Begriffe sind – Verdrängung, Träume und Schäume lassen ihn schnell brüchig werden.

Propheten und Prediger, zu denen übrigens auch Sie als Gemeinde sich zählen dürfen, sie haben in diesen Situationen das Amt und die Verantwortung des „Wahr-Sagens“: Damit ist nicht mehr und nicht weniger gemeint, als sich immer wieder zu besinnen auf die Wurzeln und die Berufung, die uns als Christen verbindet: Das Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit und Grenzen, das uns bescheiden macht. Die Kraft der Vergebung, die wir anderen abverlangen und zur der wir uns ebenso aufraffen müssen. Das Vertrauen auf Gottes Gegenwart auch dort, wo wir ihn nicht spüren und den Mut, all dies in unserem Leben zum Ausdruck zu bringen und damit unserem Gewissen zu folgen.

Solches „Wahr-Sagen“, solches Zeugnisgeben ist wichtig, damit zum Beispiel auch Gemeindeveranstaltungen nach außen wirken und wir keine geschlossene Gesellschaft werden. Damit „unser Licht leuchte“ auch dort, wo es meist trüb und dunkel ist, in den Randgruppen, bei Einsamen, bei Außenstehenden. Damit die Worte, die wir wechseln, nicht selbstgefälliger Schall und Rauch und „tönend Erz“ sind, sondern tatsächlich läutern können wie Feuer und Versteinertes aufbrechen können wie mit einem Hammer.

Das ist kein leichtes Amt. Das berühmte Lutherwort: „Hier stehe ich – ich kann nicht anders, Gott helfe mir“, ein „Hammerspruch“, wenn man es so nennen möchte – Luther sprach dieses Wort, wie er später freimütig gestand, mit zitternden Knien und voller Angst.

Sich Gottes Wahrheit, soweit wir sie fassen können zu verpflichten, ist ein Gipfelerlebnis unseres Glaubens, das uns nicht täglich widerfahren wird. Aber sich dieser Möglichkeit zu besinnen, sich innerlich wachzurütteln und zu überlegen, ob wir mit unserem Glauben nicht doch hier und da einen Schritt weiter gehen können, der Wahrheit und unserem Nächsten zuliebe – eine solche Besinnung würde schon viel helfen, das Feuer unseres Zeugnisses hell und warm zu halten, dass die frohe Botschaft nicht nur unserem Mund, sondern auch unseren Herzen nahe bleibt.

„Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht.“ Das rechtschaffene Predigen und, da nehme ich sie, liebe Gemeinde, weiterhin mit in die Verantwortung, das aufrichtige Reden von Gottes Wort ist uns als Aufgabe gegeben. Doch woher wissen wir, ob wir tatsächlich unseren Glauben sprechen lassen – oder in unserem Reden und Handeln nicht vielleicht einfach nur unseren Träumen nachgehen?

Wir können Bibelkurse belegen, die uns das Verständnis für die Schrift öffnen. Wir können in Gesprächskreisen erfahren, wie vielfältig sich Gottes Wort in persönlichen Erfahrungen widerspiegelt. Und wir können in tätiger Nächstenliebe begreifen, wie die Botschaft vom Reich Gottes auch heute Wunder bewirkt und Menschen verwandeln kann. Doch so mächtig Gottes Wort in unserem Zeugnis zu werden vermag, so unmöglich ist es, Garantien dafür zu erwarten:

Wo Gottes Wort ein Hammer ist, der Felsen zerschmeißt, kann unser Reden ein Jammer sein, der viel Geschirr zerschlägt. Hier liegt ein großes Stück Kühnheit in unserem Glauben, ohne das wir vor Scham und Furcht verstummen müssten:

Es ist die Zusage Gottes, uns in seinem Geist zu leiten sowohl auf dem Weg unserer Berufung als auch auf den vielen Holzwegen, die wir immer wieder beschreiten. Es ist seine Mahnung, die uns unseren falschen Frieden nimmt und uns umkehren lässt zu rechter Zeit. Es ist seine Liebe, die uns in unserer Schuld und in unserem Versagen nicht verzweifeln lässt, sondern stets einen Neuanfang ermöglicht.

Aus diesem Geist erstand die Kirche, jene Gemeinschaft, in der auch wir heute hier zusammengekommen sind als Propheten, Prediger, „Wahr-Sager“, Hörer und Täter des Wortes Gottes. Ich wünsche Ihnen, dass die kommende Woche Ihnen viele Gelegenheiten schenkt, dieses Amt recht auszufüllen und die Gnade zu spüren, die darauf liegt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.