Ein neuer Himmel und eine neue Erde – Johannes schreibt in seiner Offenbarung von einer Vision, von etwas, das sein wird. Er schreibt von dem, was uns Menschen einmal erwartet. Und er beschreibt es in wunderbar, geradezu poetischen Bildern: Das neue Jerusalem wird wie eine geschmückte Braut daherkommen – jung, schön, strahlend, festlich hergerichtet.
Noch mehr berührt mich aber die Vision davon, wie es uns Menschen ergehen wird: Kein Leid. Kein Schmerz noch Geschrei. Das, wovon diese Welt ja leider so übervoll ist – Kriege, Streit, Ohnmacht und Hilflosigkeit – das alles wird überwunden sein. Gott wird mit uns sein, und er, so heißt es, wird abwischen alle Tränen.
Gott nahe zu kommen, Visionen und Hoffnungen zu teilen, zu überwinden, was schwer auf der Seele lastet: Dazu laden seit jeher die Kirchen ein. Mit ihrer Bauweise, ihren Bildern und Symbolen erinnern sie an die Verheißung von Gottes neuer Welt, sind steingewordene Mahnung, Zuflucht und Wegweiser für viele Menschen.
Seit jeher und bis heute tun Kirchen dies auf ganz unterschiedliche Weise: Im Mittelalter wuchsen neu errichtete Kirchen sprichwörtlich in den Himmel, sie ziehen ihre Betrachter mit sich und lenken den Blick nach oben. Andere Kirchengebäude erzählen von Gottes Herrlichkeit mit barocker Pracht, mit Gold und Silber und reichem Dekor. Und wieder andere führen uns durch ihre karge Schlichtheit zur Besinnung auf das Wesentliche.
Ich persönlich mag vor allem die kleinen Dorfkirchen, wo architektonisch oder kunsthistorisch meist nichts Besonderes zu entdecken ist, wo man aber einen heimeligen Charakter spürt, wo man gleich merkt: Dies ist ein Ort, der vielen Menschen wichtig ist. Hier wird in kontinuierlicher Gemeinschaft getauft, konfirmiert, geheiratet, hier wird Abschied genommen von Freunden, Bekannten, Angehörigen. Ein Stück „gute Stube“ auch, die man darum mit viel Liebe und Sorgfalt hegt und pflegt, erhält und hin und wieder auch mal renoviert.
Kirchen erzählen von Gottes Botschaft, und sie erzählen von den Menschen, die sich davon ansprechen und bewegen lassen. In ihren Mauern wurde Chorgesang und Orgelmusik laut, hier drängten sich die Menschen zu Zeiten der Not, manch schöne wie auch düstere Gedanken verdichteten sich über gefalteten Händen. Ein Ort des prallen Lebens mit all seinen Facetten und zugleich ein Ort, der außerhalb des Alltags steht und Raum bietet für Besonderes.
Was aber dringt davon nach außen? Wer, der nicht selbst hin und wieder in die Kirche geht, weiß um diese besondere Qualität, um die wohltuende Eigenartigkeit dieses Ortes? Wer von außen vermag mehr darin zu sehen als eine Sehenswürdigkeit am Rande, die man mal „mitnimmt“? Wie viele Fotos entstehen von der Kirche Altensalz, wenn auf der Talsperre die Ausflugsboote vorbeifahren?
Zachäus war auch kein „Insider“, aber offenbar wollte er es wissen: Als Zöllner arbeitete er wahrscheinlich für die feindliche Besatzungsmacht, wie viele seiner Kollegen wirtschaftete er gelegentlich wohl auch in die eigene Tasche, er wurde vom Volk verachtet, galt aus religiöser Sicht als unrein – und hatte also reichlich Grund, sich von Versammlungen der jüdischen Gemeinde besser fernzuhalten. Dennoch lesen wir, dass er „begehrte, Jesus zu sehen“.
Was trieb Zachäus an? Neugier, ja, ganz sicher wird die eine Rolle gespielt haben. So viel wurde damals über diesen Jesus erzählt, da musste man die Gelegenheit nutzen, wenn eine solche Berühmtheit in der Nähe war. Hoffnung – ich vermute, die war auch im Spiel, wenngleich diese Hoffnung eher unscharf, man kann auch sagen „blind“ gewesen sein dürfte: Was wusste Zachäus schließlich schon von der christlichen Botschaft?
Heute freuen wir uns, wenn wir neue Gesichter bei Gemeindeveranstaltungen und Gottesdiensten sehen. Schlange stehen die Menschen allerdings meist nur zu Heiligabend, und gar auf die Bäume geklettert ist vor unseren Kirchen in Sachsen meines Wissens noch nie jemand.
In unsere Kirchen treibt es die Menschen vor allem zu den großen Festen, die vom Wunder des Lebens erzählen: Vom Wunder der Menschwerdung Gottes, vom Wunder der Auferstehung. Grundfeste unseres Glaubens, Kernbotschaft für Millionen Christen im Land, Anziehungspunkt aber auch für viele, die eher am Rande stehen oder sonst lieber auf Distanz zur Kirche gehen.
Mit welcher inneren Einstellung ein Mensch auch eine Kirche aufsucht – Gottes Wort gilt unveränderlich, und es birgt eine gute Nachricht für uns, voller Kraft trotz mancher Fremdheit. Es leiht uns oft die einzigen Worte, an den Gräbern davon zu sprechen, dass unsere Grenzen nicht die letzten Grenzen sind und Gott uns zu sich ruft. Gottes Wort lädt nicht ein zu einem naiven Fürwahrhalten, sondern zu einer lebendigen Annahme, zur Übung im Lesen, im gemeinsamen Reden, Singen, im Gebet, ja sogar zur kritischen Auseinandersetzung.
Jesus sah den seltsamen Zaungast, den Zachäus, wie er da im Baum saß und den Hals reckte. Er wusste, dass Erzählungen, dass bloßes Hören und Sehen aus der Ferne bei ihm nur wenig bewirken. Das Wort muss Fleisch werden: In der persönlichen Begegnung, im Miteinander. Es braucht Formen, es braucht Räume, es muss greifbar werden in jeder Hinsicht.
Jesus rief Zachäus vom Baum herunter und ging in sein Haus, um ihm Gottes Wort nahe zu bringen, um Heil zu bringen über den Zöllner und alle, die mit ihm waren. Gott kann Leben verwandeln, kann das Verlorene finden und selig machen. Wo sind die Verlorenen heute?
Gleichgültigkeit herrscht bei vielen Menschen, Desinteresse, und manchmal schlägt uns auch offenes Misstrauen und Ablehnung entgegen. Wir mühen uns redlich, Kirchengebäude zu erhalten, einladend zu gestalten und unseren Glauben ansprechend zu leben – doch viele gehen daran vorbei, taub geworden für die Botschaft, oder einfach nur müde und resigniert.
Es gibt viele Arten von Gottesferne. Es gibt ein „Gottvergessen“, wo anderes absoluten Raum einnimmt und über uns herrscht: Ausgeprägte Freizeitorientierung, Fernsehen und Internet, beruflicher Ehrgeiz. Es gibt hochmütigen Atheismus, für den schon die Vorstellung von Gott unerträglich ist, weil das die eigene Eitelkeit hinterfragt.
Manche erleben die Distanz zu Gott auch als Befreiung, weil er ihnen in der Kindheit als ein grausamer Tyrann vermittelt wurde. Und schließlich gibt es den schmerzvollen Atheismus, der zwar gerne glauben würde, es aber angesichts der Zustände in der Welt einfach nicht vermag.
Gottsuchende wie Zachäus machen sehr unterschiedliche Erfahrungen, so wie wir Christen mit unserem Glauben auch. Schatten der Angst und Trauer können vieles verdunkeln, nicht immer findet unser fragendes Tasten einen festen Halt. Welche Geschichten der Gottsuche finden sich in unserem Leben? Wovon können wir erzählen, was weitergeben?
Liebe Gemeinde, heute feiern wir Kirchweih hier in Altensalz. Manchmal frage ich mich, was unsere Kirchen erzählen würden, könnten sie reden: Was für Geschichten und Schicksale, was für traurige und freudige Ereignisse aus vieler Menschen Leben haben in diesem Gebäude Raum gefunden!
Kirchen sind nicht nur Gotteshäuser, Austragungsort von Gottesdiensten und Feiern, sie sind immer auch Heimat von Einzelnen wie von einer großen Gemeinschaft. Die Mauern der Kirche, auch dieser Kirche sind getränkt von den Gebeten und Seufzern der Menschen, in ihnen bergen auch wir uns in den wechselnden Zeiten unseres Lebens.
Gott spricht darin zu uns, in Bibel und Bild, in Symbolen, Harmonien und steinernen Pfeilern, in manchmal ungewohnter Sprache, in manchmal viel zu langer Predigt und obendrein oft auf viel zu harten Bänken.
Dieser Raum, diese Kirche steht für eine Botschaft, wie auch wir, die wir sonntags hier ein und ausgehen als Beladene, als Befreite, als Suchende von Gottes Nähe. Sie ist alt, diese Botschaft, viel älter noch als diese Kirche und trägt doch Generationen durch die Jahrhunderte und führt auch unsere Kinder in eine Zukunft unter Gottes Hand.
Darauf vertrauen wir, davon sprechen wir, wenn wir unseren Glauben bekennen und leben, dazu laden wir Mitmenschen ein, mit uns zu feiern. Wir Christen sind eine Weggemeinschaft, die aber ihren Halt hat bei Gott und eine Heimat in der Kirche. Halten wir sie darum in Ehren als einen besonderen, heilsamen Ort, der uns von Gott geschenkt ist. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.