Versprochen

Erinnern Sie sich noch an die Zeit der Wende und an das berühmtgewordene Wort von den „blühenden Landschaften“? Berühmt wurde es leider im negativen Sinne, durch den harten Kontrast von hohen Erwartungen und teils bitteren Enttäuschungen. Oft wurde es bemüht als offenkundiger Beleg für Selbstüberschätzung und Realitätsferne, für falsche Versprechen oder gar Betrug!

Die Beurteilung der Nachwendezeit hängt meist zusammen mit persönlichen, biographischen Erlebnissen: Wie erging es mir davor? Wie entwickelte es sich danach? Wo zeigte sich Gerechtigkeit, wo eher Schlechtigkeit? Und nicht immer war es die „große Politik“, an der sich dies festmachen ließ: Begebenheiten im Kleinen, im Freundes und Familienkreis sind in Wirklichkeit weitaus prägender.

Ich denke an die schöne Hochzeitsfeier einer guten Bekannten von uns, einige Jahre ist es nun schon her – und die Ehe mittlerweile zerbrochen: Zuviel Kränkungen, zu viele Missverständnisse gab es, so dass am Ende zu wenig blieb, worauf man gemeinsam bauen konnte. Ich denke an große Beerdigungen, mit vielen Gästen, viel Anteilnahme, reichem Blumenschmuck: „Geliebt und unvergessen“ steht in goldenen Lettern auf dem Grabstein – doch mitunter kaum mehr lesbar hinter wucherndem Unkraut.

Ist das etwa die Bewegung des Lebens? Ein auf und ab, immer in genau dieser Reihenfolge? Unser Predigttext jedenfalls beschreibt eine solche Kurve, wenn er die Geschichte eines Weinbauern schildert. Der Beginn dieser Geschichte ist vielversprechend: Der Weinberg ist auf einer fetten, also fruchtbaren Höhe, und zu den guten Voraussetzungen wird ihm auch noch denkbar viel Zuwendung zuteil.

Da wird geackert, da werden Steine weggeräumt, Schutzzäune gezogen und was nicht noch! Auch an der Geduld, einer heute seltenen Tugend, lässt es jener Weinbauer nicht fehlen. Er geht in seinem Tun weit hinaus über die reine Investition von Besitz und Geld; das Gedeihen des Weinbergs ist ihm eine Herzensangelegenheit. Was kann da noch schiefgehen?

Nun, wie wir sehen: Leider alles. Und was für das gemeinsame Wohlergehen gedacht war, verkehrt sich schließlich in das völlige Gegenteil. Die Vergeblichkeit von so viel Geld, Zeit und Mühe, von so viel Liebe zerreißt buchstäblich das Herz, zerstört nachhaltig jede Beziehung.

Kein Wunder! Irgendwann sind wir an einer Grenze angelangt, können einfach nicht mehr und wollen auch nicht mehr. Zugleich quält die Vorstellung: Waren wir vielleicht zu naiv, zu gutgläubig? Haben wir zu spät erkannt, was doch längst offensichtlich war?

Das Wunder der Liebe, das Wunder des Neuanfangs – ich halte immer die Luft an, wenn da so schnell, so leichtfertig von gesprochen wird. Beides bedeutet auch meist ein hartes Stück Arbeit, wenn es Bestand haben soll. Beides birgt naturgemäß die Möglichkeit des Scheiterns in sich, auch bei besten Voraussetzungen und größten Bemühungen!

Nun ist Jesaja allerdings kein Ehe- oder Unternehmensberater. Sein Gleichnis vom Weinberg symbolisiert das Miteinander von Gott und dem Volk Israel, und wird später auch von Jesus wieder aufgegriffen – wir lesen davon im Neuen Testament. Es ist eine Mahnung an jene, die sich der Zuwendung Gottes allzu sicher sind, egal was sie tun oder lassen. Es stellt in Frage, was man als „billige Gnade“ beschreiben könnte: Immer zur Stelle, wenn ich sie brauche, aber niemals fordernd, niemals an Voraussetzungen oder an mein Verhalten geknüpft.

„Was nichts kostet, ist nichts wert“, so lernen wir es in der freien Marktwirtschaft und übernehmen es in unsere allgemeine Wahrnehmung – mit allen Konsequenzen. Kein Wunder also, wenn einige meinen, dass nur durch Rückkehr zu alter Sittlichkeit und strenger Moral der christliche Glaube wieder zu seiner ursprünglichen Bedeutung zurückfindet. Ich habe da Zweifel:

Gott wäre nicht Gott, wenn er Beweise bräuchte für unsere Liebe und Treue. Er kennt unser Herz, er sieht unser Tun, und stellt darum seine Barmherzigkeit über alles. Wir brauchen keine Moralapostel, keine einengenden Vorschriften, um vor Gott gerecht und würdig zu werden. Meist machen wir uns damit doch nur lächerlich, und anderen das Leben unnötig schwer! Mich tröstet da immer ein Blick auf die Jünger Jesu oder in die Apostelgeschichte:

So viel menschliches Versagen, so viel Eitelkeit und Ignoranz – doch glücklich geeint und zum Heil berufen durch Gott! Kein Wunder, dass uns das als ein Wunder erscheint, wie wir es selber nie erzwingen und ertrotzen könnten.

Gott die Ehre zu geben, das ist nicht unähnlich der Ehre, die wir einem geliebten Menschen geben: Da lebt ein großes Vertrauen, wie selbstverständlich. Da sind wir getragen von einem Mut, wie wir ihn sonst in Alltagsdingen nie wagen würden. Und ja, da spüren wir auch jene Ohnmacht, im Fall des Falles hilflos mitansehen zu müssen, wie alles zerfällt und zerbricht. Die Liebe ist ein Geschenk, wie es der Glaube ist – mit einem entscheidenden Unterschied:

Wo Menschen an ihre Grenzen stoßen, geht Gott mit uns weiter. Eine fromme Phrase, könnte man meinen, und ja: Ich habe dem nichts entgegenzusetzen an Belegen und Beweisen.

Ich will aber darauf vertrauen, ich will es wagen, selbst in Zeiten, wo mir die Knie weich werden, der Boden bedrohlich schwankt, das Herz allzu unruhig wird in mir. Das kann ich tun, und bin dankbar für andere, die es ebenso halten. Denn das gibt mir Kraft und hilft, auch mal Durststrecken des Glaubens zu überdauern.

Kraft gibt mir auch der Blick aufs Kreuz, auf den sterbenden Jesus – auf jenes Wunder, das ausgerechnet nach der größten Niederlage aussieht. Er bat für uns, die wir oft nicht wissen, was wir tun. Er verklagt nicht die, die ihm unablässig Schmerzen zufügen und letztlich zu Tode bringen – selbst dann nicht, als ihn die Verzweiflung übermannt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Die Liebe ist ein Geschenk, wie es der Glaube ist. Und wo wir an unsere Grenzen stoßen, geht Gott mit uns weiter. Sich darauf einzulassen, ist alles andere als billige Gnade. Es ist auch unendlich viel mehr, als das Leben nach moralischen Regeln auszurichten. Die helfen nur bei Sonnenschein, und nicht im finsteren Tal der Ungewissheit, der Glaubensangst.

Die Passionszeit ist keine Zeit der blumigen Versprechen. Sie kennt nicht die spielerische Leichtigkeit der Lebenskünstler, das augenzwinkernde Hinwegsehen über die Beulen und Schrammen, die das Leben unserer Seele zugefügt hat. Nein, die Passionszeit nimmt genau sie und vieles mehr in den Blick:

Sieh her, das ist dein Leben. Sieh her, Jesu Wunden, Schmerz und Tod. Sieh her, wie groß das Wunder ist von Gottes Barmherzigkeit und dem Geschenk des Glaubens. Das ist auf Dauer kaum auszuhalten, aber wer sich mit Pflanzen auskennt (es müssen nicht Weinreben sein, Hopfen geht z.B. auch), der weiß wie wichtig ein guter Grund und starke Wurzeln sind für gutes Wachstum, reiches Blühen und Früchte in Fülle.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.